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„Nach meiner Meinung gibt es heute in der Bundesrepublik Deutschland einige Politiker, die weder die deutsche Staatsbürgerschaft offensiv für alle Deutschen vertreten, noch Menschenrechtsverletzungen in der DDR öffentlich diskutieren wollen. Es würde den Menschen in der DDR und der Entspannungspolitik nur schaden, heißt es.

Zur Entspannungspolitik will ich mich nicht äußern, wohl aber dazu, ob eine öffentliche Diskussion von Menschenrechtsverletzungen den Bürgern im Osten schade. Es kann nämlich nicht oft genug betont werden, daß Unrecht nicht mehr Unrecht zu nennen, voll im Interesse der SED liegt. Sie will Menschen, die sich für ihre Rechte einsetzen, mundtot machen und isolieren.

Es schadet uns in der DDR nichts, sondern hilft uns, wenn öffentlich im Westen Stellung bezogen wird. Wir brauchen Informationen aus dem Westen und seine moralische Unterstützung. In den Menschenrechten kann es keine Kompromisse geben, hier fängt Entspannungspolitik erst an.

Es ist für ein pluralistisches System außerdem eine große Gefahr, wenn die Presse mit dem Hinweis auf einen möglichen Schaden für die Bürger in der DDR zur Selbstbeschränkung aufgefordert, wird. Die Öffentlichkeit sollte nicht getäuscht werden. Auch DDR-Bürger sind deutsche Staatsbürger und haben ein Recht auf Information über ihre Probleme.

Die Presse im Westen sollte die Politiker mehr als bisher zu Stellungnahmen veranlassen, damit Menschenrechtsverletzungen beim Namen genannt und nicht vertuscht werden. Denn, wie schon gesagt,

die Erfüllung der Menschenrechte ist der erste Schritt zur Entspannung. Entspannung aber hat den Menschen zu dienen. Sie dient ihnen aber nicht, wenn die Menschen im Osten über alle Entspanung- und Absichtsresolutionen vergessen werden, wenn Entspannung Stillhalten heißt“.

Erklärung Hübners vom 7.3.1978 - abgegeben am 14.3.1978 auf dem Volkspolizeirevier 69 im Bezirk Prenzlauer Berg

Am 9. März 1978 erhielt ich die Aufforderung (gemäß Wehrpflichtgesetz vom ... und ... Folgebestimmungen) zur Musterung am 28. März 1978 (in... ) zu erscheinen.

Ich wurde 1956 in Berlin geboren und bin in Berlin wohnhaft. Ich bin also Bürger von Groß-Berlin und erkläre hiermit, daß ich nicht gewillt bin, der Aufforderung, zur Musterung zu erscheinen, Folge zu leisten. Ich bin nicht gewillt, als Berliner in einer deutschen Armee der Wehrpflicht nachzukommen !

Die Gründe dafür sind private und juristische.

Groß-Berlin soll eine entmilitarisierte Zone sein. D. h.: Die Bürger Berlins dürfen nicht zum Wehrdienst gezogen werden.

- Am 12. September 1944 wurde im Londoner Abkommen (Protokoll) der Extrastatus von Berlin vereinbart.

- Im Potsdamer Abkommen wird die völlige Abrüstung und Entmilitarisierung beschlossen.

- Im Alliierten Kontrollratsgesetz wird nochmals die Entmilitarisierung von ganz Berlin vereinbart.

- Die 4 Mächte betonen im Vierseitigen Abkommen (3. Sept. 1971) , daß sie: „handeln auf der Grundlage ihrer vierseitigen Rechte und Verantwortlichkeiten und der entsprechenden Vereinbarungen und Beschlüsse der vier Mächte aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, die nicht berührt werden“... etc.

- ‚Staatsangehörigkeitsfragen sind durch den Vertrag nicht geregelt worden‘ erklärt der Leiter der BRD-Delegation zum Verhandlungsprotokoll über Staatsangehörigkeitsfragen.

Aus den o. g. Bestimmungen geht klar hervor, daß Groß-Berlin einen Sonderstatus hat. Ganz Berlin soll eine selbständige politische Einheit sein. Kein Berliner darf durch Gesetz zum Wehrdienst in den deutschen Streitkräften gezogen werden.

Die Westnichte protestierten bei der Ausdehnung der Militärgesetzgebung der DDR auf Berlin ( Ost ). Des weiteren vermieden die 4 Großmächte Berlin (Ost) im Vierseitigen Abkommen als ‚Hauptstadt der DDR‘ zu bezeichnen (sie sprachen von den ‚Westsektoren Berlins und Gebieten, die an diese Sektoren grenzen, sowie denjenigen Gebieten der DDR‘ (Anl. III).

Folgende Punkte sind weitere Merkmale für den Sonderstatus von Groß-Berlin: Angehörige Alliierter Truppen können, sofern sie uniformiert sind, unkontrolliert von den Grenzbeamten Ost- und Westberlin betreten und verlassen. Flugzeuge der drei Westmächte benutzen den Luftraum über Berlin (Ost). Berliner im Ostteil der

Stadt wählen nicht Bürger zur Volkskammer, sondern zur Stadtverordnetenversammlung.

Des weiteren teile ich noch private Gründe mit, die mich dazu bringen, den Wehrdienst in der NVA zu verweigern. Diese Gründe stehen aber mit den o.g. in einem inneren Zusammenhang.

Am 15. Februar habe ich einen Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR (der ich de jure nicht angehöre) zur Zwecke der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland gestellt. Ich bekräftigte den Antrag später mehrmals. Der positive Bescheid vom Ministerium des Inneren blieb bisher aus. Ich erwarte also zumindest von Ihnen, daß Sie dafür Sorge tragen, daß ich bis zur endgültigen Klärung meiner Staatsbürgerschaft für mich akzeptable Klärung) von der Musterung zum Wehrdienst zurückgestellt werde, sowie von der Pflicht zum Wehrdienst hei der NVA solange befreit bleibe.

‚Der Schutz des Friedens und des sozialistischen Vaterlandes und seiner Errungenschaften ist Recht und Ehrenpflicht der Bürger der DDR, Verf. Art. 2 der DDR. Diese ‚Ehrenpflicht‘ trifft für mich aus mehreren Gründen nicht zu.

Ad 1 bin ich kein DDR-Bürger, sondern Berliner.

Ad 2 existiert für mich kein ‚sozialistisches Vaterland‘, sondern nur ein deutsches Vaterland, das sich in der Vergangenheit selbst in Mißkredit gebracht hat. Und auf die Errungenschaften kann ich auch verzichten, die bestehen für mich nur in negativer Hinsicht (z. B. praktiziertes Bildungsverbot, Zwangsstaatsbürgerschaft, einer blutigen Grenze zwischen einer Nation, Hausfriedensbruch der VP in meiner Wohnung, Ermittlungsverfahren des MfS, ohne mir mitzuteilen, wogegen ich verstoßen hätte, trotz Freispruch keine Haftentschädigung, Bespitzelung, ... etc. ), also kann ich sagen, daß es für mich aus rechtlichen und privaten Gründen ein Hohn wäre, einer Sache zu dienen, die ich keinesfalls gutheißen kann“.

 


Anmerkungen d. Verf. Die im Text Vorkommenden Abkürzungen bedeuten;

NVA = Nationale Volksarmee,

VP = Volkspolizei,

MfS = Ministerium für Staatssicherheit.