Audiorecording: © Ralf Gründer, Redaktion Berliner-Mauer.de, 07.06.2012

Über Armeegeneral Karl-Heinz Hoffmann

Der Abend in der Stiftung Aufarbeitung bestand aus einem Vortrag und einem sich daran anschließenden Gespräch mit Dr. Suckut über die Einzigartigkeit der 1000 Seiten mächtigen Akte mit dem Aktenzeichen GH30-72, mit der erstmals belegt werden konnte, dass der sogenannte Staatssicherheitsdienst der DDR auch gegen eigene SED-Kader bzw. gegen Minister der SED vorging.

Im Vortrag stellte Dr. Suckut heraus, dass es Andrei Antonowitsch Gretschko (1) war, der den Staatssicherheitsdienst der DDR und damit den Genossen Armeegeneral Erich Mielke (2) hinderte, den ehemaligen Rotarmisten und jetzigen Minister für Nationale Verteidigung Karl-Heinz Hoffmann (3) abzuservieren. Das bemerkenswerte daran ist, das ein einzelner Sowjet die Macht besaß, Mielke und sein Schnüffelimperium lahm zu legen.

Dr. Suckut führt aus, dass der Lebenswandel dieses aus Mannheim stammenden Sowjets so gar nicht in das Gerüst der sozialistischen Prüderie passte, die Walter Ulbricht mit seinen „10 Grundsätzen der sozialistischen Moral“ (LINK) seinen Kadern ins Gewissen zu schreiben versucht hatte. Hoffmann selbst spielte aber nicht mit dem Verborgenen. Er lebte offen seinen zügellosen Alkoholismus und seinen ungehemmten Drang nach dem Weiblichen aus. Auch damit, dass er sich für die Anforderungen seines Amts nicht ausreichend qualifiziert sah, hielt Hoffmann nicht hinter dem Berg. Sozusagen lagen die Fakten durch Hoffmann schon selbst auf dem Tisch, die seine sofortige Abberufung bedingt hätten, aber als ehemaliger Rotarmist, als linientreuer Kommunist und als Sowjetbürger mit sowjetischer Ehefrau war Hoffmann sozusagen für die Sowjets die „1. Wahl“ an der Spitze des Nationalen Verteidigungsrates (NVR), der Nationalen Verteidigungsarmee (NVA) und den Grenztruppen der DDR.

Dennoch bemühten sich ca. 20 bis 30 Mielke-Spitzel im Zeitraum von 1952 bis 1971 unermüdlich zusätzlich belastendes Material zu tage zu fördern. Erst mit dem Machtwechsel an der Spitze im Zentralkomitee der SED von Walter Ulbricht zu Erich Honecker wurde die Akte geschlossen. Mielke hatte gegen Hoffmann verloren, ohne allerdings in seinem Amt dafür zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.

Im anschließenden außerordentlich langweilig moderierten Gespräch wurden lediglich biografische Eckdaten und Banalitäten zur Quellenlage abgefragt. Unbegreiflicherweise lies Dr. Suckut bei der Darstellung der biografischen Eckdaten wesentlichste Punkte aus, so dass während der gesamten Veranstaltung der Eindruck vorherrschte, der Herr über Leben und Tod in der DDR war ein netter Saufkumpan aus Mannheim, mit dem jeder mal gerne über die Reeperbahn gehen würde. Über die MfS-Berichte, deren Auswertungen und Perspektivplanungen zur Ausschaltung Hoffmanns erhielten die Zuhörer nur spärlichste Informationen. Immerhin kam noch zur Sprache, dass es die Kaderelite der NVA war, die die Spitze der NVA bespitzelte. Niemand geringer als Generalmajor Bernhard Max Bechler (4) (* 9. Februar 1911 in Grün; † 30. November 2002 in Kleinmachnow), geführt im MfS als GI „Wölfi“, nutzte seine privaten Zusammenkünfte mit Hoffmann und beschnüffelte die Schnapsgläser und Trophäen der weiblichen Eroberungen seines Freundes nach staatssicherheitsdienstlich Verwertbarem. Leider blieb uns Dr. Suckut schuldig, ob Bechler die Intimitäten zur Geruchsspurensicherung an die entsprechende Hauptabteilung des MfS weitergeleitet hat. Als zweiter Topschnüffler machte sich IM „Birnbaum“ an Hoffmann heran. Hinter dem zutreffenden Synonym verbarg sich, wie wir heute wissen, Generaloberst Fritz Streletz (5) (* 28. September 1926 in Friedrichsgrätz, Landkreis Oppeln).

Erst durch die letzte Frage eines Gastes erfuhren die Besucher, das Hoffmann als Minister für Nationale Verteidigung und Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates selbstredend auch für die Schüsse an den Demarkationslinien zwischen dem freien Westen und den sowjetisch besetzten Zonen, zumindest für die Zeit von 1961 bis 1971 verantwortlich war. In dieser Zeit sind ca. 128 Menschen bei dem Versuch, das „KZ“-DDR gegen den Willen der „KZ“-Wächter zu verlassen, auf der Grundlage von Hoffmanns Schießbefehl (Befehl 101), Bestimmungen (z. B. Schusswaffengebrauchsbestimmung), Anordnungen, Dienstvorschriften (z.B. DV 30/9 - 1963,  DV 30/10 - 1964, DV 30/11 - 1965, DV 30/10 - 1967, DV 30/13 - 1969) und der Vergatterung erschossen oder durch Minen, Selbstschussanlagen oder Verzögerung bzw. Unterlassung von medizinischen Hilfsmaßnahmen, zu Tode gebracht worden.

In Berlin (Westsektoren) lies damals der Senat durch das Studio am Stacheldraht Plakatwände entlang der Sektoren- und Zonengrenze aufstellen, die Informationen für die sogenannten „Transportpolizisten“ (Trapos), „Grenzpolizisten“ (Grepos) bzw. „Grenzsoldaten“ der DDR enthielten. Auf einer dieser Tafeln stand:

„Wer Mord befiehlt ist doppelt schuldig!“ (Link)

Folgen wir der damaligen Ansicht des Berliner Senats, ist Armeegeneral Heinz Hoffmann ein mehrfacher Mörder, ohne selbst gemordet zu haben. Mit anderen Worten: ein Massenmörder!

Hoffmann war als Mitglied des NVR an der Ausarbeitung der Befehle Nr. 101/61 (LINK I - II ) bis 101/85 beteiligt. Auf der Grundlage dieser Befehle erstellten die Grenztruppen den Befehl Nr. 80/80 - 1980 sowie alle weiteren Vorschriften und Anordnungen. Freilich, ein sogenannter Grenzsoldat, ein Postenführer oder ein Posten, bekam diese als „Streng Geheim“ eingestuften Unterlagen niemals zu Gesicht. Der sogenannte Grenzsoldat wurde beim Dienstantritt vergattert. Dieser mündliche Befehl forderte vom „KZ“-Wächter das bedingungslose Ausführen von Befehlen und demzufolge das Vernichten von sogenannten „Grenzverletzern“. Die Vergatterung wurde in dem Film „Grenzposten“ (D-196) des Filmstudios der NVA festgehalten.

In dem filmischen Beitrag des Armeefilmstudios „5. Jahrestag Mauerbau“ (7/66 (1) – 1966, s/w) spricht Armeegeneral Hoffmann zu seinen Grenzsoldaten und sagt folgendes:

Zitat: „Sie lassen sich weder durch die falschen Töne der Menschlichkeit noch durch Drohungen in unserem Dienst zum Schutz der Grenzen wankend machen. Wer unser Grenze nicht respektiert, der bekommt die Kugel zu spüren! Und wenn wir schießen, dann dient das dem menschlichsten Ziel, zu verhindern, das in einem Krieg Deutsche gegen Deutsche schießen müssen. Sie als Grenzsoldaten stehen sozusagen jeden Tag an vorderster Linie unseres Kampfes. Sie stehen dem Feind, wenn man sagen darf, Auge im Auge gegenüber. Sie stehen jeden Tag bereits im Einsatz, und zwar im Einsatz gegenüber einem Feind, der alle Mittel anwenden wird, um ihren Dienst zu stören, um sie zu hindern, die Grenzen unserer Deutschen Demokratischen Republik richtig und zuverlässig zu schützen. Und wenn sie schon diesen schweren Dienst leisten müssen, wenn sie schon vorn mit der Waffe in der Hand gegenüber dem Feind, der auch die Waffe in der Hand hat, stehen, dann sollen sie wissen, das hinter ihnen,und zwar unmittelbar hinter ihnen, eine Militärmacht steht, die jederzeit in der Lage ist, jederzeit, unter allen Bedingungen in der Lage ist, die Grenzen unseres sozialistischen Lagers zuverlässig zu schützen und dem Feind, wenn er es wagt, sie anzugreifen, bei sich zu Hause, auf seinem Territorium zu schlagen.“

Der Film endet mit dem Abschuss von Raketen von mobilen Basen gefolgt von Hunderten von Fallschirmspringern, und verdeutlicht, wie Suckut auch angeführt hat, dass Hoffmann einem Atomkrieg auf deutschem Boden vermutlich nicht ausgewichen wäre.

Der Westen hatte vor Kaliber a la Hoffmann eine panische Angst. Der Gedanke, dass am Schalter der Macht ein völlig unterprivilegierter und zugleich schlecht ausgebildeter Mann sitzt, der in einer kritischen Situation versagen könnte, führte zu militärisch unberechen- und unbeherrschbaren Szenarien, die für beide Seiten nicht zum Erfolg führen konnten.

Anstatt also über die möglicherweise für Fachwissenschaftlicher interessante Frage zur Quellenlage von GH30-72 vor Dutzenden Gästen zu disputieren, wären andere Fragestellungen interessanter gewesen. Welche Macht besaß dieser Mann? Wie war er wirklich ausgebildet? War Mielke mit seinen Schnüfflern seinem Ziel der Suspendierung Hoffmanns zu irgend einem Zeitpunkt nahegekommen? Wie sahen die Schnüffelberichte aus?

Ein anderer von Dr. Suckut angerissener Punkt war von größter Bedeutung, ist aber leider in der belanglosen Quellendiskussion untergegangen. Hoffmann, so erwähnte Dr. Suckut, diente in den sowjetischen Gulags für deutsche Kriegsgefangene. Welche Aufgabe hatte der Mannheimer Rotarmist bei der Bewachung deutscher Kriegsgefangene? Die Sowjets hatten nicht nur Wehrmachtssoldaten, SS-Angehörige und andere NS-Verbrecher verschleppt. In den Lagern vegetierten auch tausende unschuldige Jugendliche, die für Kriegsverbrechen der NS-Diktatur zu jung waren. (7) Hat Heinz Hoffmann sich jemals für einen Landsmann eingesetzt? Für die Opferverbände wäre das sicherlich eine interessante Frage! Mit der leidigen Quellendiskussion wurde alle diese wichtigen Punkte aus der Aufarbeitung des Abends herausgekehrt.

Fussnoten:

1) Andrei Antonowitsch Gretschko (Wikipedia)

2) Erich Fritz Emil Mielke ( Biografische Notizen / Wikipdia /

3) Karl-Heinz Hoffmann (Wikipedia)

4) Bernhard Max Bechler (Wikipedia) war von 1959 bis 1965 stellvertretender Kommandeur der Militärakademie Dresden. Zudem bekleidete er die Funktion des Leiters der Fakultät für operativ-taktische Ausbildung der Landstreitkräfte. Ab 1965 bis 1970 leitete er die Forschungsstelle für Truppenführung des Ministeriums für Nationale Verteidigung und war zugleich Direktor des Instituts für Mechanisierung und Automatisierung der Truppenführung in Dresden.

5) Fritz Steletz (Wikipedia)

6) Befehl des Ministers für Nationale Verteidigung Nr.: 101/61, 14. Dezember 1961, Strausberg. Inhalt: Die Aufgaben der Grenztruppen im Ausbildungsjahr 1962

7) z.B. Lothar Scholz (Biografische Notizen)


Lit.-Tipp 1:

Hoffmann, Heinz
Die marxistisch-leninistische Lehre vom Krieg und von den Streitkräften / Heinz Hoffmann. - 2., erw. und verb. Aufl. - Berlin : Dt. Militär-Verl., 1962. - 109 S.

Lit.-Tipp 2:

Genosse General! : die Militärelite der DDR in biografischen Skizzen / im Auftr. des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Hans Ehlert und Armin Wagner. - 1. Aufl. - Berlin : Links, 2003. - VIII, 632 S. : Ill. ; 21 cm. - Literaturangaben.
ISBN 3-86153-312-XWie die Stasi den DDR-Verteidigungsminister absetzen wollte. Fallstudie zum Verhältnis von SED und Staatssicherheit

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