"Schüsse an der Grenze der DDR". Sendung: Aktuelle Kamera, Kommentar von Karl-Eduard von Schnitzler am 28.12.1965
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„Guten Abend, meine Damen und Herren
von Gesinnung und geistiger Haltung sprach Bundeskanzler Erhard am Weihnachtsabend. von Tugenden und Rechtschaffenheit, von Opfersinn und Gemeinsinn, und davon, dass selbst härteste Geister nachdenklich gestimmt seien zu weihnachten, und niemand möge sich als Pharisäer aufspielen.
24 Stunden später stehen Erhard und seinesgleichen als übelste Pharisäer da, als Feinde jeglicher Tugend und Rechtschaffenheit. als härteste Gemüter, weit entfernt von jedem nachdenken und bar jeder Einsicht. Denn wenn ein Angehöriger seiner Bundeswehr, als Ostpreuße revanchistisch verhetzt, mit seinem Bruder den Weihnachtsverkehr in Berlin, das große von der DDR ermöglichte Familientreffen missbraucht, Vorschriften zur Regelung des Grenzverkehrs verletzt, Soldaten unserer Grenztruppen und westdeutsche Besucher an Leib und Sache gefährdet, mit unglaublicher Brutalität durch Grenzsperren hindurchrast und dabei ums leben kommt, dann ist er nächst seiner eigenen Abenteuerlichkeit und Dummheit Opfer eben der Politik dieses sogenannten christlichen Kanzlers, der so salbungsvoll im Kerzenlicht vom tiefen Sinn des Weihnachtsfestes zu predigen weiß, und der so wortreich seinen Sorgen und Befürchtungen für den Frieden der Welt Ausdruck gibt. Nicht ohne das Schicksal der Landsleute drüben zu beklagen.
Woher, meine Damen und Herren, kommen Spannungen? Von Grenzen? Noch niemals hat eine Grenze Spannungen hervorgerufen. Noch niemals ist ein Grenzzwischenfall durch eine Grenze verursacht worden. Grenzzwischenfälle werden von Leuten verursacht, die Grenzen nicht anerkennen und missachten. Spannungen werden von Leuten hervorgerufen, die Grenzen verändern und beseitigen wollen. Schauen sie, das ist der logische innere Zusammenhang zwischen der Bonner Politik und den Schüssen zu Weihnachten in Berlin. Die DDR sei kein Staat, sondern nur eine Zone, die befreit werden müsse, das ist Bonner Regierungspolitik offiziell. So steht es auf dem Panier der Presse, vom 'Bild' bis zum 'Spiegel'. so reden es Rundfunk und Fernsehen den Menschen ein, dafür wird die Bundeswehr gedrillt, dafür fährt Erhard nach Amerika, nicht um der Liebe willen, sondern wegen Atomwaffen.
Und so ist es dem Bundeswehrangehörigen Heinz Schöneberger aus Gandersheim gleichgültig, dass an der Grenze der DDR die Gesetze der DDR gelten. Es macht ihm gar nichts, einen Offizier unserer Grenztruppen in rasendem Spurt 20 Meter mitzuschleifen. ihm ist es auch völlig egal, wenn er auf seiner Amokfahrt innerhalb des Grenzkontrollbereichs ,Heinrich-Heine-Straße' das Fahrzeug des Hamburgers Henry Fritsche rammt. Er hat auch einkalkuliert, dass die beiden Mädchen, die aus der DDR entführt werden sollten, in Lebensgefahr gerieten. Das eine ist übrigens 17 Jahre alt, das andere von so hoher Moral, dass es bereit war, sein Kleinkind einfach in Stich zu lassen. Das alles macht nichts, man weiß ja, die DDR ist kein Staat, ihre Grenze keine Grenze und ihre Gesetze sind keine Gesetze.
Und die Westberliner Agenten-Organisation, die den Schöneberger wochenlang vorbereitet, ausgebildet, beraten und als günstigsten Zeitpunkt für die Grenzprovokation eben die Weihnachtszeit festgelegt hat, sie sagt ja auch, das muss so sein, das ist recht und für die Freiheit muss man etwas riskieren. Man riskiert ja jedes Weihnachten etwas. Vor zwei Jahren gab es eine blutige Provokation, voriges Jahr ermordete man unseren Unteroffizier Eqon Schulz. Und zu diesem Fest war ja der Gewaltakt Schönebergers nicht der erste. Am 22. Dezember war vom Westberliner Bezirk Kreuzberg aus ein gewaltsamer Grenzdurchbruch in die DDR versucht worden. Und am 23. Dezember wurde auf den Berliner Grenzgewässern ein Boot unserer ,Nationalen Volksarmee' von Westberlin aus beschossen.
'
Zufälle? Private Verzweiflungsakte? Bei uns braucht niemand zu verzweifeln. Die wahnwitzig, kostspielige und selbstmörderische Atompolitik wird nicht bei uns betrieben, sondern in Bonn. Und von Bonn aus versucht man, Westberlin und die Westberliner mit hineinzuziehen. Und wenn unsere Staatsgewalt vom Volke ausgeht und den Arbeiter- und Bauernstaat und seine grenzen schützt, dann kommt ein hergelaufener ausländischer Stadtkommandant in Westberlin und gibt dumme Sprüche von sich. Da versucht ein Westberliner Senatssprecher wahrheitswidrig und wider besseres Wissen, die Spur der wahren Schuldigen zu vorwischen. Da muss Herr Höfer im Westfernsehen seinen Senf dazu geben, ein Deutscher sei von einer deutschen Kugel getroffen worden, weil er von Deutschland nach Deutschland wollte. Nein, so nicht. Hier wollte nicht ein Deutscher von Deutschland nach Deutschland, sondern zwei Bürger eines deutschen Staates haben Grenze, Gesetze und Hoheit des anderen deutschen Staates auf das gemeingefährlichste verletzt. Man begreife endlich, dass das gefährlich ist und dass, wer sich in Gefahr begibt, darin umkommen kann. Man lasse sich nicht Ursache und Wirkung durcheinanderbringen. Man verstehe endlich, dass man im Guten mit der DDR sehr gut, ausgezeichnet auskommt. Die Berliner können es zur Zeit gerade wieder bestätigen, dass man jedoch im bösen nichts erreicht, nicht im kleinen und nicht im großen. Wir lassen uns weder Ostern noch Pfingsten, noch Weihnachten noch sonst wann überrumpeln, nicht von einem Schöneberger und nicht von der Bundeswehr.
In der Weihnachtsnacht war ich mit meiner Frau an unserer Staatsgrenze in Berlin bei unseren Grenzern. In Unterkünften an Grenzübergängen und bei einsamen Posten. Das sind junge Menschen, geboren in der DDR oder als Kinder hineingewachsen in die Deutsche Demokratische Republik. Sie sind gute Deutsche. Und dieser Staat ist ihr Staat, sie empfinden ihn als ihren Staat und stehen für ihren Staat, weil die DDR und Frieden identisch sind. Pflichtbewusst, getreu ihrem Eid und in voller Verantwortung begegnen sie dem entgegenkommend, der im Guten kommt oder geht. wer es aber im Bösen versucht, ist ihr Feind und bekommt es zu spüren. Richten sie also Empörung an die richtige Adresse, meine Damen und Herren im Westen. Man braucht die Schlagzeilen ihrer Presse morgen früh noch gar nicht zu kennen, man weiß, was sie ihnen ins Ohr brüllen wird. Lassen sie sich nicht taub und blind schreien. denken sie an Ursache und Wirkung. Und vergessen sie bei Schüssen an der Grenze der DDR nicht die Politik ihres biederen Kanzlers, der so erbaulich von sittlicher Haltung, Tugend, Rechtschaffenheit und formierter Gesellschaft zu plaudern weiß, während er für seine Generale Atomwaffen einkaufen fährt und seine Provokateure schon immer mal die Festigkeit unserer Grenzen testen.
So lange sie solchen Leuten die Macht geben, solange gehört zum Frieden auf Erden, auch zum Frieden auf deutscher Erde, die M A S C H I N E N P I S T O L E in den Händen der Soldaten unserer Nationalen Volksarme.“
Quelle: Aktuelle Kamera, Ostberliner Fernsehen, Ausstrahlung am 26.12.65. Auszüge aus diesem Kommentar wurden am 27.12.65, gegen 10.10 Uhr, in der „Zeitfunksendung“ des Ostberliner DEUTSCHLANDSENDERS verlesen
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„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“
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Zur Baugeschichte der Berliner Mauer
Einleitung
Nachdem am 5. Juni 1961 der Staatsratsvorsitzende der DDR Walter Ulbricht auf einer internationalen Pressekonferenz in Ostberlin auf die Frage der Journalistin Annemarie Doherr (1) von der Frankfurter Rundschau, ob „die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird“ (2), geantwortet hatte:
„Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten!“ (3),
begann das Pankower Zonenregime (4) in den frühen Morgenstunden des 13. August 1961 mit der Abriegelung des Ostsektors und der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) von Berlin.
Kurz nach 1 Uhr Nachts wurde der die Zonen- und Sektorengrenze überschreitende S-Bahnverkehr eingestellt. Am 165 km langen „Ring um Berlin“ fuhren militärische Fahrzeuge auf (5) und unter militärischer Bewachung begannen Grenz- und Volkspolizisten, paramilitärische Kampfgruppen der Arbeiterklasse, Feuerwehr, Beamte des Zoll- und Verkehrswesens sowie Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit die Straßen mit Presslufthämmer (6) aufzureißen und Barrikaden und Stacheldrahtverhaue zu errichten. Unter Missachtung des entmilitarisierten Status von Groß-Berlin sicherte in der Tiefe Ostberlins eine zweite Staffel aus NVA und sowjetischen Truppen die Absperrmaßnahmen.
Zitat: „Mit Ausnahme von 13 Sektorengrenzübergängen, den Interzonenstraße und des Überganges Glienicker Brücke sperren östliche Arbeitskolonnen schlagartig alle nach West-Berlin führenden Straßen mit Betonpfählen, Stacheldraht und sonstigem hierfür verwendbarem Material.“ (7) Über Nacht wurden 95 Verbindungsstraßen blockiert.
Voller Empörung versammeln sich Menschen nahe der Sektorengrenze, um gegen die sowjetzonalen Sperrmaßnahmen Stellung zu nehmen.
Am 13.8. berichtet der Stab der VPI-Pankow – Abteilung Information:
Betr.: Informationsbericht Termin 12.15 Uhr
Bezug: Gegebener Rundspruch
A1: KP Kopenhagener Straße ohne besondere Vorkommnisse
keine besondere Ansammlung von Personen
KP Wollankstraße: Ansammlung von Personen bis ca. 300,
die stark in Richtung der Westsektoren drücken.
Zur Verstärkung der eingesetzten Genossen ein Zug der VPI-Pankow, ein Zug Kampfgruppen und ein Zug Bereitschaftspolizei eingesetzt. Es wird geschätzt, dass zur Zeit die Lage mit eigenen Kräften bereinigt werden kann. (8)
Im Westen wurden die Absperrmaßnahmen weder von der Bevölkerung, noch von der Schutzpolizei oder den staatlichen Organen gewollt. Deshalb warfen Vopo (9) erstmalig in den Abendstunden des 13. August Tränengaswurfkörper (10) über die Sektorengrenze, um Demonstranten am Bethaniendamm im Bezirk Kreuzberg von ihrem Schutzwall zu vertreiben. Am Brandenburger Tor kam es zum Einsatz zahlreicher Wasserwerfer, um die dort protestierenden Menschen fortzutreiben. Die ersten Warnschüssen fallen bereits am 14.08. am Brandenburger Tor und in der Neuköllner Wildenbruchstraße.
Aber auch nach dem 13. August flohen - trotz Stacheldraht (11) und Warnschüssen - täglich weitere Deutsche aus der sowjetischen Besatzungszone in das freie Berlin. Um die Fluchtbewegung weiter einzudämmen, veranlasste die SED den verstärkten Ausbau (12) der Sektoren- und Zonengrenze zu den West-Berliner Sektoren. Die anfänglich stark improvisierten Sperranlagen aus Stacheldraht (13) und Spanischen Reitern wurden verstärkt, weiterentwickelt und perfektioniert und schließlich pionier- und signaltechnisch (14) ausgebaut.
Bezogen auf das erste stationäre Sperrelement aus westlicher Sicht, aber auch bei der Betrachtung der pionier- und signaltechnischen Entwicklung des Grenzregimes kann der „Mauerbau“ in drei Generationen oder Phasen beschrieben werden.
Kurze Vorgeschichte zum Mauerbau
Nach der provisorischen Absperrung der Zonen- und Sektorengrenze beginnt der eigentliche Bau der „Berliner Mauer“ am 17.08.1961. In der Harzer Straße (Treptow), später auch in allen anderen Stadtteilen, wurden die nach Berlin (West) führenden Ausgänge der unmittelbar an der Sektorengrenze im Sowjetsektor gelegenen Häuser vernagelt bzw. zugemauert. Am Potsdamer wurde das erste Teilstücks (15) einer „Mauer“ errichtet, auf die in Richtung sowjetzonalem Territorium weitere stationäre Sperren folgen.
In den darauf folgenden Tagen und Wochen wurden unter Einsatz von starken Arbeitskolonnen entlang der Zonen- und Sektorgrenze die sowjetzonalen Grenzsperranlagen ausgebaut.
Am 14.11.1961 meldet der Westberliner Polizeibericht:
„An Sektor- und Zonengrenze keine besonderen Vorkommnisse
Länge der Mauer: 22 km
Länge des Stacheldrahtes (einfach) im Sowjetsektor: 33 km
in der Sowjetzone: 97 km.
Der Ausbau der Grenzsperren durch Vopo dauert an“. (16)
Hinter der ersten Mauer entstand in besonders fluchtgefährdeten Bereichen eine zweite massive Betonmauer. Zwei-, drei- und teilweise vierfache Stacheldrahtsperren wurden errichtet, Drähte zur Auslösung von Alarm- bzw. Schreckschüssen gelegt, Gräben gezogen, Beobachtungstürme aufgestellt, Sperrgitter in die Kanalisationsanlagen eingebaut und Scheinwerfer zur Ausstrahlung der Grenze montiert.
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ev. einfügen: Dokument: Hinweis auf Zwangsräumung
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Zur Verhinderung weiterer Fluchten wurden seit dem 20.09.1961 unter dem „Schutz“ der Vopo die unmittelbar an der Sektorengrenze gelegenen Häuser von den bisherigen Anwohnern geräumt (Harzer-, Bernauer-, Sebastian-, Waldemarstraße und an vielen anderen Stellen). Zur Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten der Grenze begannen am 28.09.1961 Massenaufgebote an Vopo und Zivilarbeitern – teilweise bis zu 1000 Personen – in etwa 100 m Tiefe den Grenzstreifen als „tote Zone“ (17) auszubauen.
Zugleich mit dem Aufbau der Sperren montierten östliche Arbeitsgruppen entlang der Sektorengrenze Lautsprecher. Bis zum 13.11.1961 zählten West-Berliner Schutzpolizisten 183 Lautsprecher, die einzeln, teilweise aber auch gruppenweise geschaltet, kommunistische Propaganda nach West-Berlin ausstrahlten.
Da die Grenzanlagen der militärischem Geheimhaltung unterlagen, gelangte die Ansicht des „Antifaschistischen Friedensschutzwalls“ aus östlicher Sicht nie in das Blickfeld der Medien und damit der öffentlichen Betrachtung.
In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass das wichtigste Sperrelement während der gesamten Lebensdauer der SED-Diktatur der „Schießbefehl “(18) war. Nur die hemmungslose Anwendung der Schusswaffe gegenüber unbewaffneten Kindern, Frauen und Männern ermöglichte und garantierte die zeitweise Aufrechterhaltung des DDR-KZ's. (19)
Während Stalins Sowjetdeutsche den 13. August als den Tag feierten, an dem der Frieden für immer gesichert wurde (20), betrachtete der freie Westen die Mauer als Schandmal einer kommunistischen Willkürherrschaft. (21)
Berliner Mauer der 1. Generation
Das augenscheinlichste Bauwerk der Sperranlagen aus westlicher Sicht war die Mauer. Der Aufbau der „Schandmauer“ (22) der ‚ersten Generation' bestand aus großen quadratischen Blockelementen, die speziell für eine Verwendung im Wohnungsbau entwickelt und produziert worden waren. Darauf folgten zwei aufgemauerte Lagen aus kleineren Hohlblocksteinen und zwei Lagen massive Betonbalken. Den Abschluss bildeten mit Stacheldraht bespannte Y-Abweiser als Übersteigschutz. Zur Erhöhung der Stabilität wurden im rechten Winkel nach Ostberlin vortretende Blöcke als Strebepfeiler eingefügt. (23)
Aus verschiedenen Gründen wurde dieses Grundkonzept immer weiter variiert bzw. modifiziert. Die Sperrmauer der ‚ersten Generation' war lediglich „brusthoch“, damit bestand die Möglichkeit des Blickkontaktes zwischen Ost und West und erlaubte auch die Observierung grenznaher Bereiche östlich der Sektorengrenze. Um jeglichen Kontakt zwischen auseinandergerissenen Freunden und Familien zu verhindern und um die Überwachungsmaßnahmen der sowjetzonalen Grenzpolizei den westlichen Blicken zu entziehen, errichteten die bewaffneten Organe der DDR vielerorts über drei Meter hohe Sichtblenden.
.... wurde die Mauer in besonders sensiblen Bereichen durch zusätzliche aufgemauerte Lagen aus Hohlblocksteinen erhöht. (24) Andernorts, vermutlich aufgrund von Baumittelknappheit, bestand die Mauer nur aus den kleinen Hohlblocksteinen. (25) An anderen Stellen wiederum, z. b. in Bereichen, die den Blick von erhöhten Positionen nach Osten erlaubten, wuchs die Mauer in abstrusen Bauformen in die Höhe. Die Y-Abweiser wurden entfernt bzw. abgeknickt und weitere Lagen aufgemauert. (26)
Diese uneinheitliche Bauweise war nicht nur optisch äußerst unattraktiv, sondern auch anfällig gegen (Sprengstoff-) Anschläge und konnte zudem von Flüchtlingen relativ leicht überstiegen werden. Auch gelang es einigen Flüchtlingen, diese Mauer mit schweren Fahrzeugen zu durchbrechen. (28) Auf die Mauer folgten – von Westen aus betrachtet - weitere ‚stationäre' Sperranlagen, bestehend aus zweifachen bzw. dreifachen Zaunreihen, Flächen- und Höckersperren und weiteren Grenzzäunen zur Abgrenzung des „Todesstreifens“ nach Ostberlin.
Nachdem einem Gleisbauarbeiter am 13. Februar 1963 die Flucht durch einen U-Bahntunnel nach West-Berlin gelungen war, veranlasste der „ulbrichtsche SED-Staat“ die Errichtung einer
unterirdischen Mauer. Die BZ (29) titelte: „sie mauern und mauern und mauern“. Die Zeit überschrieb ihre Fotoessay mit „Dokumente der kommunistischen Hysterie“. Beide Artikel zeigen die bewachten Bauarbeiten im U-Bahntunnel zwischen U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße und Moritzplatz.
Am 12. August 1963 berichtet die Westberliner Berliner Schutzpolizei über die Lage an der „Grenze“ wie folgt (30):
15 km „Mauer“ (ohne Grundstücksmauern und Fassaden), 130 km Drahtsperren: (einfache Länge), 229 Bunker und Schützenstellungen, 131 Beobachtungstürme, 57 Sichtblenden und 91 stationäre Lautsprecher.
Der Andrang fluchtwilliger Bürger aus der DDR veranlasste die „bewaffneten Organe der DDR“ zur Anwendung der Schußwaffe in 618 Fällen. Insgesamt erfolgten 1519 Festnahmen an der Sektoren- und Zonengrenze zu Berlin. Trotz der Maßnahmen des „Pankower Zonenregimes“ meldeten sich 2948 Personen bei den Polizeidienststellen als Flüchtlinge, davon waren 369 Personen Angehörige der „Bewaffneten Organe der DDR“. 30 Personen wurden erschossen!
Zur Erhöhung der Wirksamkeit der Sperrmauer der ‚ersten Generation' verstärkte das Ulbricht-Regime (31) die Sperranlagen in verschiedenen innerstädtischen Abschnitten durch eine zweite Mauer – fälschlicherweise als Mauer der ‚zweiten Generation' bezeichnet - aus massiven Betonelementen, z.B. in der Bernauerstraße (32) - zurückgesetzt direkt hinter der ersten Mauer oder hinter Fassaden bis auf das Erdgeschoss abgerissener Wohnhäuser (33), aber auch zur Verstärkung der Sperrmauer in der Lindenstraße (34), Zimmerstraße und ..... und ...
Berliner Mauer der 2. Generation
Ab ca. 1965 begann der pioniertechnische Um- und Ausbau des Grenzregimes mit der Errichtung einer neuen verbesserten, ca. 3 Meter hohen Grenzmauer, bestehend aus in den Boden eingelassenen und einbetonierten Stahlbetonpfeilern mit U-Eisenprofilen, die in einem Abstand von ca. einem Meter errichtet wurden. Zwischen den Pfeilern wurden 9, ca. 10 cm starke Betonplatten - ohne Zementierung - eingeschoben. Als Abschluss flanschten Pioniere auf die obersten Segmente Betonabwasserrohre auf. Zusätzlich gruben die Arbeiter Metallplatten in das Erdreich ein, um ein Unterkriechen oder Untergraben zu verhindern. (35)
Bis 1965 blieb die Länge der „Mauer“ (bestehend aus einer gemauerten Mauer und gesicherten Grundstücksmauern und Häuserfronten) mit ca. 24 km Ausbaulänge nahezu gleich. Erst der statistische Bericht der Berliner Schutzpolizei vom 8.8.1968 lässt die Ausbauphase der ‚zweiten Generation' der Mauer erkennen.
163,8 km Gesamtlänge der Demarkationslinie, einschließlich der Exklaven, 51, 4 km Mauer, bestehend aus Betonplattenwänden, zum Teil mit aufgelegtem Rohr, Grundstücksmauern und Häuserfronten, 43,2 km Zäune aus gestanzten Blechfertigteilen, 89,8 km Stacheldrahtsperren (1-5fach), 95,1 km Kontaktzäune (36), 87,3 km Grabensperren, 84,3 km befestigte Fahrwege, 75,3 km „Moderne Grenze“ (nahezu fertiggestellt), 228 Beobachtungstürme und -stände, 106 Bunker und Schützenstellungen, 179 Hundesperren und 16 Sichtblenden.
In 1223 Fällen machten die „Bewaffneten Organe der DDR“ von ihren Schusswaffen Gebrauch und nahmen 2507 Personen an der Grenze fest. Insgesamt wurden 73 Personen durch den Schusswaffengebrauch der NVA an der Demarkationslinie verletzt, 63 Menschen kamen an der Grenze ums Leben, 47 davon wurden erschossen. Seit dem 13. August gelang 3736 DDR-Bürgern die Flucht in den Westen, davon waren 503 Personen Angehörige der „Bewaffneten Organe“ der DDR.
Die Mauer der ‚zweiten Generation' stellte aus der Sicht der Grenztruppen der DDR eine erhebliche Verbesserung dar. Die vorfabrizierten Bauteile konnten wesentlich leichter und schneller aufgestellt werden und ergaben ein einheitliches Erscheinungsbild. Aufgrund des Verzichts der Y-Abweiser und der Reduzierung des Stacheldrahtes auf der Mauer und an Zäunen erhielten die Grenzsperranlagen ein entschärftes Aussehen. Die vormals brutal archaisch erscheinenden Grenzsperren wirkten einheitlicher, ordentlicher und weniger gefährlich. Aufgrund des Baukastenprinzips konnten Erhaltungs- und Reparaturarbeiten von den Pionieren der Grenztruppen einfacher und schneller ausgeführt werden.
Aber auch diese Mauer erwies sich als zu schwach, um Flüchtlingen den Weg in den Westen zu versperren. Bauliche Mängel führten schnell zur Destruktion des Bauwerkes. Von West-Berlin aus durchgeführte Sprengstoffanschläge (37) zeigten ebenfalls die Schwachpunkte der verbesserten Mauer auf. Ganz besonders schmerzte den sowjetzonalen Machthabern jedoch die Flucht aus dem kommunistischen Machtbereich aus den eigenen Reihen. Aufgrund ihrer guten Kenntnisse der Grenzsperranlagen war der Anteil an erfolgreichen Fluchten durch Angehörigen der „Bewaffneten Organe der DDR“ besonders hoch!
Berliner Mauer der 3. Generation
Erst die Grenzmauer der ‚dritten Generation', auch als „Grenzmauer 75“ bezeichnet, stellte eine zufriedenstellende Lösung für die Grenztruppen der DDR dar. Hervorgegangen aus einem umfangreichen Entwicklungs- und Erprobungsprogramm übernahm diese Mauer verschiedene Funktionen von zuvor einzeln errichteter stationärer Sperren. Die vorfabrizierten 3,8 Meter hohen L-förmigen Stützwandelemente vom Typ UL12.41 (38) konnten mühelos aneinandergereiht und ohne Fundament aufgestellt werden. Der ins freundwärtige Territorium weisende Betonfuß ersetzte den Kfz.- und Panzersperrgraben (39) sowie die Vorrichtungen gegen das Untergraben. Die aufgesetzten Asbestbetonröhren erhöhten die Stabilität und ersetzten funktional die stacheldrahtbespannten Y-Abweiser als Übersteigschutz. Der massive Stahlbeton bot zudem Anschlägen auf die Mauer wenig Angriffsfläche.
Das neue Aussehen, grau, glatt und sauber sollte der DDR helfen, das Erscheinungsbild der Grenze und damit das Image der DDR zu verbessern. (40) Seit Bestehen der Mauer kam es zu vielen brutalen Zwischenfällen, in denen Angehörige der „Bewaffneten Organe der DDR“ hemmungslos von der Schusswaffe Gebrauch machten und dabei unbewaffnete zivile Bürger der DDR vernichteten. (41) Mit jedem Mord an der Grenze diskreditierte sich der „Friedensstaat DDR“ in der westlichen Weltöffentlichkeit aufs neue. Das Bestreben ging dahin, das Erscheinungsbild der Grenze zu verharmlosen und die Grenzsicherung ins freundwärtige Territorium der DDR und damit in den Aufgabenbereich des Ministeriums für Staatssicherheit zu verlegen.
Mit der „Entbrutalisierung“ der „modernen Grenze“ hatte die DDR jedoch ungewollt ein neues Dorado geschaffen. Die alten Sperrmauern der 'ersten' und 'zweiten Generation' zeigten nur selten Inschriften. Die neue glatte Fläche hingegen motivierte tausende Graffiteure mit kleinen Tags aktiv werden und führte schließlich dazu, dass beginnend mit Borowski, Noir, Bouchet, Citny, Hacke und Indiano die vom Westen aus zugängliche Mauer mit großflächigen Bildern (42) illustriert wurde. Die ersten Kunstwerke entstanden ca. 1984 und führten in den folgenden Jahren zu einem wahren Bilderrausch. Zu den Künstlern gehörten Francesco Bartoletti (43), Richard Hambleton (44) und Kieth Haring (45), die ihrerseits zusammen mit anderen die Mauer zu einem internationalen Kunstwerk empor hoben. Auch Performancekünstler entdeckten die Mauer für ihre Aktionen. Der in der Zimmerstraße direkt an der Mauer lebende Peter Unsicker gründete seine Wall-Street-Galery (46) und verspiegelte die Mauer mit Hunderten von Splittern, befestigte Gegenstände und setzte das Geschaffene in Brand. Kain Karawahn wiederum entzündete Fanale aus Feuer an der Mauer und setzte damit flüchtige Denkmale gegen die Unmenschlichkeit. Der aus Kanada stammende Lebenskünstler John Runnings spazierte „mediengerecht“ auf der Mauerkrone und schlug mit einem Vorschlaghammer vor den Augen der Welt Betonbrocken aus dem „Antifaschistischen Schutzwall“ heraus. Nicht zuletzt stand er 3,8 Meter hoch auf dem „Eisernen Vorhang“ (47) und urinierte auf ihn hernieder.
Durch den Ansturm der Künstler mit ihrer ungefilterten Kritik, die weder auf diplomatische Gepflogenheiten noch auf interalliierte Absprachen Rücksicht nahm, hatte das „schlafende Krokodil“ - wie Thierry Noir die Mauer bezeichnete - in Berlin ein farbenfrohes Kleid erhalten, und es begann absehbar zu werden, wann die SED-Diktatur trotz tödlicher Sperranlagen mit Minen, Selbstschussanlagen und Schießbefehl aus der Zivilisation verschwinden wird.
2005
Fußnoten:
1.) Original des damals erschienenen Artikels
2.) Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung einer freien Stadt - Ihrer Meinung nach – dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?
3.) O-Ton der Pressekonferenz und Foto von Walter Ulbricht
4.) Pankow: nördlicher Vorort und Verwaltungsbezirk im Sowjetsektor. Früher Sitz einiger Behörden und der Regierung und Verwaltung (Staatsrat). Mit Pankow bezeichnete man verallgemeinernd auch die Regierung der „DDR“.
5.) Fotos vom 13. August 1961: Ha.-Jo. Helwig-Wilson, Rolf Goetze und Arved Raabe
6.) Radio-Reportage Erich Nieswandt
7.) Bericht über Ereignisse und Einsatz der Schutz- und Bereitschaftspolizei vom 13. 8. - 13.11.1961, S 1-1221/61, Berlin, den 13. November 1961, Seite 2.
8.) Stab der VPI-Pankow, Abteilung Information, Berlin, den 13.8.1961.
9.) Volkspolizist
10.) Bericht über Ereignisse und Einsatz der Schutz- und Bereitschaftspolizei vom 13.08. - 13.11.1961
11.) Satire: Zäune hinter Zäune
12.) Grafik der Sektorengrenze am Bahnhof Schönholz, Berliner Morgenpost, 1992
13.) Tarantel (abnormale Situation in West-Berlin, gesehen aus dem verbarrikadierten Ostberlin)
14.) Schematische Darstellung des Ausbau s der Berliner Zonen- und Sektorengrenze (1966, 1970, 1975)
15.) Bericht über Ereignisse und Einsatz der Schutz- und Bereitschaftspolizei vom 13.08. - 13.11.1961
16.) Bericht über Ereignisse und Einsatz der Schutz- und Bereitschaftspolizei vom 13.08. - 13.11.1961
17.) Teltowkanal, zwischen Rosenthal und Schönholz, Staaken p. p.
18.) Schusswaffengebrauchsbestimmung ....
19.) Fotos und Grafiken mit dem Slogan „DDR = KZ“ (aus Tarantel und .... anderen Quellen)
20.) Suche Pressezitat: Friedensschutzwall ......
21.) Suche Pressezitat: Schandmal ......
22.) Suche Pressezitat: Schandmauer, bzw. Foto mit Schild: „Schandmauer“
23.) Mauer der ‚1 Generation', Grundkonzept: Foto: Ha.-Jo. Helwig-Wilson, am ...
24.) Mauer der ‚1 Generation' im Bereich Bernauer-/ Eberswalder Straße
25.) Mauer der ‚1 Generation' im Bereich .....
26.) Mauer der ‚1 Generation' im Bereich Klemkestraße, Ostberlin, Pankow. Siehe Hilkenbach 1975-04-19-001-75-30, 1975-04-19-001-75-31
27.) Polizist aus West-Berlin sprengt Mauer .........
28.) Beispiele für Mauerdurchbruch mit schweren Fahrzeugen?
29.) Sie mauern und mauern und mauern ..., BZ, 22.02.1963
30.) Ereignisbericht der Berliner Schutzpolizei vom 12.08.1962, Polizeihistorische Sammlung Berlin
31.) Suche Karikatur zum „Ulbricht-Regime“ ?????????
32.) Verstärkungsmauer der Mauer der 'ersten Generation in der Bernauer Straße
33.) Verstärkungsmauer der Mauer der 'ersten Generation in der Bernauer Straße
34.) Verstärkungsmauer der Mauer der 'ersten Generation in der Lindenstraße
35.) Grafik Untergrabschutz
36.) Signalzaun
37.) Fotos von Anschlägen auf die Mauer (BStU)
38.) Grafik der Stützwandelemente
39.) Grafik mit Fahrzeugen, die gegen die Mauer fahren!!
40.) Foto des neuen Grenzregimes, BStU, zwischen dem Potsdamer Platz und dem Brandenburger Tor
41.) Vergatterungsformel einfügen .......................!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
42.) Wandbilder von Noir, Bouchet, Citny und Hacke
43.) Francesco Bartoletti
44.) Richard Hambleton „Shadow Mission“
45.) Kieth Haring am Checkpoint Charlie
46.) Zimmerstraße mit über die Straße gespannten Banner „WallStreet-Galery“, Foto: Sigurd Hilkenbach
1973 - 1975 - Anlage 1
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Pionier-, signal- und nachrichtentechnischer Ausbau der Staatsgrenze der DDR zur Bundesrepublik Deutschland un Berlin (West): Quelle: Berliner Mauer Archiv.
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Tipp: Heidemeyer, Helge
Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR 1945/1949 - 1961 : die Flüchtlingspolitik d. Bundesrep. Deutschland bis zum Bau der Berliner Mauer. - Düsseldorf : Droste, 1994. - 359 S.
(Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien / hrsg. von d. Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien ; 100)
Erschien zuerst als Phil. Diss. Univ. München 1992
13.08.1961 | Situationsbeschreibung
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Einschätzung der Lage in Berlin (West)
Mitteilung von Franz Amrehn (CDU) an den Bundesminister des Auswärtigen Herrn Dr. Heinrich von Brentano, datiert: 12. September 1961.
Sowjetzonaler Wasserwerfer der Kampftruppen der DDR am Brandenburger Tor im Kampf gegen West- Berliner Demonstranten. Foto: Arved Raabe, Berlin (13.08.1961)
Die am Brandenburger Tor eingesetzten Kampfgruppen vertreiben mit Wasserwerfern die gegen die Absperrmaßnahmen demonstrierenden West-Berliner.
Bericht (Streng vertraulich):
Der 13. August hat zur Folge ...
1)
Tiefe Erschütterung im politischen Bewusstsein aller Deutschen, und zwar der Zonenbewohner, weil sie über ein Jahrzehnt zum Ausharren aufgefordert und durch die Möglichkeit eines Besuchs in West-Berlin immer wieder von Hoffnung getragen, völlig unerwartet eingesperrt sind, der Berliner, weil die über die bestehende Verwaltungstrennung hinweg wirksam gebliebenen Arbeitsverhältnisse und menschlichen, vielfach familiären Beziehungen auseinandergerissen worden sind, Begegnungen nicht mehr stattfinden können und durch die Mauer für unabsehbare Zeit zwei Städte Berlin geschaffen worden sind, der Bewohner der Bundesrepublik, weil die schon erheblich geschwächte Aussicht auf Wiedererlangung der Einheit einen entscheidenden Stoß erlitten hat, der durch die Zuspitzung der Lage das Wohlstandsdenken überraschend in den Hintergrund gerückt und neben einem Gefühl nationaler Mitverantwortung auch ernste Besorgnisse für das westliche Deutschland ausgelöst hat.
2)
Beendigung der bisherigen Funktion Gesamt-Berlins als offener, noch viermächtegebundener Rest-Bestandteil des Deutschen Reiches, der durch seine bloße Existenz die Verpflichtung zur Lösung der deutschen Frage wachgehalten und die Keimzelle zur Überwindung der Teilung gebildet hat.
Schließung des Schaufensters Westberlin, das im Wettbewerb mit dem kommunistischen System dessen überzeugendste Widerlegung und die beste Rechtfertigung der freien Entfaltung auf dem Boden ungehinderter Meinungsäußerung, sozialer Marktwirtschaft und politischer Selbstbestimmung gewesen ist.
3)
Vorverlegung des Eisernen Vorhangs vor Ostsektor und Zone, die wegen der bisherigen Funktion Berlins noch nicht dahinterlagen und von Enttäuschung und Verzweiflung erst jetzt gepackt werden, seit die Bewohner keine Fahrt mehr durch das Brandenburger Tor, keine Reise mehr nach dem Westen machen und kein Schlupfloch mehr finden können.
4)
Vertrauensminderung, denn der Westen hat trotz der Betonung zunehmender Entschlossenheit die Losreißung Ost-Berlins und die Einverleibung in die Zone nicht verhindert, ja sogar seine eigenen Zugangsrechte an etwa 80 Übergängen auf einen einzigen verkümmern lassen. Der freie Verkehr in Berlin und die freie Arbeitsplatzwahl gehörten noch 1960 als Bestandteile des Viermächterechts zu den „wesentlichen Bedingungen” einer Vereinbarung mit der Sowjetunion, die durch ihr Vorgehen solche Absichten praktisch vereitelt hat. Dadurch hat der Westen trotz gegenteiliger Behauptungen rechtlich und tatsächlich Terrain verloren. Er hat wieder eine Schlappe erlitten. Sie kündigte sich bereits in dem großen Flüchtlingsstrom an. So gewiss er von dem Sowjetregime verursacht worden ist, so richtig bleibt doch, dass die wachsende Zahl von Flüchtlingen eben kein Vertrauen mehr zu der Macht des Westens besaß, die totale Schließung der 16 Jahre lang offen gewesenen Sektorengrenze zu verhindern.
Ursachen:
Die Ereignisse vom 13. August 1961 sind eine Folge der Spaltung, die bereits 1948 stattgefunden hat. Damals haben die Westmächte noch unter anderen Machtverhältnissen ohne Gegenwehr geduldet, dass das freigewählte Stadtparlament nicht mehr im Ostsektor an seinem Sitz tagen durfte und dass die Verwaltung mit Gewalt gegen alles Recht gespalten wurde. Sie haben nach dem Grundsatz gehandelt, dass in den unmittelbaren Machtbereich der Sowjets nicht mit den Mitteln der Macht hineingewirkt werden darf, um einen Konflikt zu vermeiden. Das galt auch beim Aufstand im Juni 1953 und nicht minder für Ungarn im November 1956.
Der Westen beschränkte sich auf die Verteidigung eines unmittelbaren Machtbereichs. Er nahm die faktische Teilung Deutschlands hin und beschränkte sich auf papierene Rechte Verwahrungen. (Harriman 1961 zu Brandt: Wir haben in Potsdam gewusst, dass die Sowjets nicht mehr herausgeben, was sie haben. ) Damit geriet er in eine geistige Verfassung des Maginotlinien-Denkens, das politisch von Nachgiebigkeit zu Nachgiebigkeit führt:
1) Nach der Blockade wurde der zivile Verkehr zu Lande völlig den deutschen Behörden überlassen. Der Westen hat sich niemals um eine der früher zahlreichen Beschlagnahmen oder um eine der Hunderte von Verhaftungen auf den von ihm ausgehandelten und 1949 bestätigten „freien” Zugängen gekümmert.
2) Widerstandslos wurde die Beschränkung des freien Zugangs durch die Einführung und 1955 durch die exorbitante Erhöhung der Autobahngebühr hingenommen.
3) Nichts regte sich, als die Schifffahrtsgebühr eingeführt wurde.
4) In Genf konnte Herter 1959 sagen, man sei nicht in der Lage, den separaten Friedensvertrag zu verhindern, wenn nur die westlichen Rechte gewahrt würden. Das war keine offensive Diplomatie, sondern eine resignierende Einladung zur Schaffung der Staatsgrenze. In Deutschland fanden sich viele mit dieser Ansicht unter dem Druck des Ultimatums ab.
5) Auf die Behinderung des Verkehrs zwischen West- und Ost-Berlin durch Einführung eines Erlaubnisscheins am Brandenburger Tor im September 1959 reagierten die USA durch Aufforderung an die Bundesrepublik zu harter Haltung und durch die Empfehlung zur Kündigung des Interzonenhandels, ohne nachher ihre eigene Maßnahme der Sperre von Reisepapieren durchzuhalten. Sie haben die rechtswidrige östliche Verordnung niemals zu Fall gebracht und schließlich indirekt uns die Verantwortung zugeschoben, weil der Interzonenhandel fortgesetzt wurde. Von dem Verbot für West-Berliner, den Bundespass zu Reisen durch die Zone und in östliche Staaten zu benutzen, ist überhaupt keine Rede mehr.
6) Ohne gegen die faktische Bildung eines Regierungssitzes in Ost-Berlin anzugehen, haben sie die Verschiedenheit der Stellung des westlichen Berlin, das in keiner Weise zum Bund gehören darf, zum östlichen Berlin in dieser Beziehung immer größer werden lassen. Sie haben auf die Androhung verzichtet, im Falle der rechtswidrigen Einbeziehung Ost-Berlins in die Zone ihre Berlin-Vorbehalte gegen das Grundgesetz aufzuheben. Damit ist der Zustand eingetreten, dass es heute ein Undefiniertes drittes Staatsfragment „West-Berlin” gibt.
7) Die Beschränkung der Flughöhe in den Korridoren ist praktisch hingenommen worden.
8) Zuletzt ist die Haltung in der Grenzgängerfrage, die schon am 1. August durch die Anordnung über die Zahlung von Mieten und Gebühren des Ostens in Westgeld eine Zuspitzung erfuhr und zu einer Erpressung an der Lohnausgleichskasse führte, so schlapp gewesen, dass der Osten sich zu weiteren Akten angespornt fühlen konnte.
9) Jetzt ist die Entscheidung der Westmächte über die Bezahlung der Eisenbahner so passiv ausgefallen, dass der Senat gegen seinen Willen nach dem Wegfall der Grundlage für den Lohnumtausch die Löhne bis zu 40% aus seinem Haushalt für ein Unternehmen zahlen muss, das entgegen den alliierten Währungsbestimmungen seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt, obwohl es volle Westgeldeinnahmen für die im Westen verkauften Fahrkarten hat.
10) Als Fazit lässt sich feststellen, dass der Westen von den ohnehin beschränkten Möglichkeiten eines gewissen Spielraums für diplomatische und wirtschaftliche Gegenmaßnahmen aus Sorge vor Verwicklungen keinen Gebrauch zu machen gewagt hat, abgesehen von den jüngsten Noten über die Luftkorridore, deren Bedrohung allerdings unmittelbar an den Lebensnerv Berlins geht.
11) Diese Entwicklung ist nur eingetreten, weil es dem Westen an einer widerstandsfesten und offensiven, fordernden, hartnäckigen, innerlich überzeugten Deutschlandpolitik gefehlt hat.
Sonst hätte der Westen, der doch Gesamtverantwortung für ganz Deutschland trägt, die ganze gesellschaftliche Strukturveränderung der Zone, die dort verübten Verbrechen, die Militarisierung Ost-Berlins, den Wahlbetrug, die Verhaftungen auf den Autobahnen, die Flüchtlingsbewegung nicht hingenommen, ohne weltweiten Alarm zu schlagen und ohne nichtmilitärische Gegenmaßnahmen auch nur zu erwägen.
Der Westen hat sich aus seiner Gesamtverantwortung für Deutschland herausdrängen lassen, weil es - trotz aller Noten, die das Gegenteil besagen - an dem wirklichen Willen zur Einheit Deutschlands mindestens teilweise gefehlt hat und die öffentliche Meinung auch in befreundeten Ländern dafür noch nicht tiefgehend genug zu gewinnen war. Ginge es danach, kann leider auch nicht damit gerechnet werden, dass alle Bündnispartner für ein überfallenes West-Berlin kämpfen. Innerlich hat sich mancher erleichtert gefühlt, dass mit der Schließung der Grenzen in Berlin der Flüchtlingsstrom beendet war und daraus kein Konflikt mehr erwachsen konnte - ohne sich zu vergegenwärtigen, dass der nächste Schlag bei solcher Einstellung schon bald folgen würde.
Der Riss zwischen Deutschen und Westalliierten nach dem 13. August ist dadurch entstanden, dass die Deutschen ganz natürlich eine Gegenmaßnahme gefühlsmäßig und politisch erwartet haben, während die Verbündeten von vornherein, folgerichtig an die Haltung seit 1948 anknüpfend, eine Gegenmaßnahme für einen solchen Fall überhaupt nicht in Betracht zu ziehen gewillt waren.
Stimmung in West-Berlin:
Ohne dass sich jeder West-Berliner über diese Entwicklung im Einzelnen Rechenschaft ablegen kann, fühlt er instinktiv, dass der Westen in der Berliner-Frage nicht nur defensiv eingestellt ist, sondern sich weitgehend als ohnmächtig betrachtet.
Noch niemals seit dem Kriegsende hat es in Berlin wie jetzt eine zwar nicht offen zu Tage tretende, aber allüberall feststellbare Unruhe gegeben, die vom kleinen Mann bis zu hochgestellten Personen durch alle Familien geht und von Zweifeln erfüllt ist, ob die Westmächte wenigstens einen Luftkorridor unkontrolliert gewährleisten können. Mancher verantwortlich denkende Mann glaubt auch daran nicht mehr und baut in Berlin ab oder doch in der Bundesrepublik schon vor. Die Frage in einem Betrieb, wie viel den Umzug nach dem Westen mitmachen würden, ist gegen alle früheren Erfahrungen von einem großen Teil der Belegschaft bejaht worden.
Blatt 6 ausgefallen. - 7 -
Beurteilung der deutschen Politik:
Es kann danach nicht ausbleiben, dass auch der Weg der deutschen Politik einer kritischen Betrachtung unterzogen wird. Sie hat uns ihrem eigentlichen Ziel sachlich gewiss nicht näher gebracht. Das muss nicht an ihr liegen, sondern an den wider Erwarten stärker gewordenen Gegenkräften. Aber sie hat auch die Verbündeten nicht zu entschlossenerem Handeln in Berlin bringen können. Die Politik des Nichtverhandelns hat uns weder vor der Mauer bewahrt noch durch Zeitgewinn auch nur die frühere Position behaupten lassen. Diese ist seit November 1958 weiter abgebröckelt und noch mehr gefährdet. Es gibt keinen Status quo mehr. Er verändert sich fast ständig zur Minusseite.
Noch Anfang Juli habe ich dem Bundeskanzler gesagt, dass es falsch wäre, die Androhung eines separaten Friedensvertrages als unabänderlich über sich ergehen zu lassen, sondern dass es Ziel westlicher Politik bleibe, ihn zu verhindern.
Der Gedanke einer 50-Mächte-Friedenskonferenz mag wenig Aussicht auf materiellen Erfolg bieten; als taktisches Mittel hätte er die Möglichkeit geboten, den Osten psychologisch in die Defensive zu bringen und vielleicht nochmals Zeit zu gewinnen.
Auch nur die Ankündigung einer solchen Möglichkeit hätte den Flüchtlingsstrom vermutlich noch in Grenzen gehalten und die Vorverlegung von östlichen Entscheidungen vermieden. Überall hat jedoch das Datum vom 17. September für Ideen und Aktionen lähmend gewirkt und damit Ereignisse heraufbeschworen, die einer Teilverwirklichung des Separat-Vertrages gleichkommen. So konnte es geschehen, dass die Zone ausgerechnet in einem Augenblick größter innerer politischer und wirtschaftlicher Schwäche zur Verhinderung von Auflösungserscheinungen einen Gewaltakt vollzog, der für sie den bisher größten Triumph - auch für die Stellung im Ostblock - bedeutet und zu weiterer Aktivität ermuntert.
Die psychologische Intervention in West-Berlin hat begonnen: Ulbricht fordert die West-Berliner durch Rundfunk auf, die Abenteurer im Senat abzusetzen, und spricht von der Mausefalle West-Berlin; von Schnitzler erklärt im Fernsehen, die Bundesflagge habe die längste Zeit hier geweht und Minister Lemmer die längste Zeit sein Amt hier ausgeübt.
Schlussfolgerungen:
Aus dieser Darlegung ergeben sich für die Zukunft Verhaltensweisen, die in ihrer Richtung von der Grundhaltung des Westens abhängen. Ich möchte deswegen die Schlussfolgerungen danach einteilen, wie ich sie wünschte (A) und wie ich sie befürchte (B).
(A).
1) Die Freiheit des westlichen Berlin kann auf lange Sicht nur dadurch gewahrt werden, dass der Westen von jetzt an keinen Millimeter mehr an Rechtseinbusse oder Einschnürungsmaßnahme duldet, ohne sofort nichtmilitärische Druckmittel gegen die Sowjetunion und den Ostblock anzuwenden. Die Möglichkeiten wirtschaftlichen Gegendrucks sind bereits im Vorfeld der eigentlichen Entscheidung anzuwenden und nicht erst, wenn bereits auch an militärisches Eingreifen gedacht wird.
In der Hoffnung und Annahme, dass die Sowjetunion vor der Störung der Luftkorridore im Hinblick auf die ernste Warnung des Westens doch zurückschreckt, müssten auf Behinderungen der Zugangswege in der indirekten Form beispielsweise der Gebührenerhöhung oder der langsamen Abfertigung bereits die Reaktionen eintreten, die erst für noch ernstere Ereignisse erarbeitet werden.
2) Der Westen hat seine Abwehrplanung bisher streng geheim gehalten. Das hat zur Folge, dass die andere Seite entweder nicht an die Vorbereitung einer solchen Abwehr glaubt oder nicht von der Anwendung der Maßnahmen überzeugt ist. Ein entscheidendes Ziel der gegenwärtigen Diplomatie besteht darin, dem Chef im Kreml die Ernsthaftigkeit der westlichen Entschlossenheit nahezubringen. Das ist bisher misslungen, weil niemand glauben kann, dass es über Berlin zum Atom-Krieg kommt und es zum anderen zu wirklichen Reaktionen in dem Spielraum zwischen der Erhaltung des Status quo und der Kriegsdrohung nicht gekommen ist. Deshalb hat die Anwendung von wirtschaftlichen oder anderen nichtmilitärischen Gegenmaßnahmen im Vorfeld der Entscheidung über die Erhaltung der Lebensfähigkeit West-Berlins den Vorzug, dass der Osten an den konkreten Abwehrwillen des Westens zu glauben beginnt.
Das kann umso wirksamer geschehen, je offener solche Entschlossenheit vorher bekannt gemacht wird, wie es jetzt in der Frage der Luftkorridore geschehen ist. Aber auch für weniger entzündliche Punkte würde volle Klarheit besser als Geheimhaltung - die natürlich für die Einzelheiten des Vorgehens weiter gewahrt bleiben muss - die Gefahr der Fehleinschätzung westlichen Verhaltens verringern.
3) Die Aufforderung zu Verhandlungen kann nur den Charakter haben,
a) durch ein Gespräch den Sowjets zu verdeutlichen,
dass sie mit ihrem bisherigen Vorgehen fortgesetzter einseitiger Veränderung des Berlin-Status die äußerste Grenze erreicht haben und weitere Aktionen nicht mehr hingenommen werden,
b) aus der bisherigen Entwicklung den Entschluss abzuleiten, dass über West-Berlin nichts mehr zu verhandeln übrig geblieben ist und dass das westliche Besatzungsregime in der gegenwärtigen Form aufrecht erhalten wird, bis die Sowjet-Union sich zu einer Verhandlung über ganz Deutschland bereitfindet.
Der schon 1959 so gefährliche Gedanke an Interimsregelungen muss ausscheiden, weil jedes Interim nur als Schonfrist angesehen würde und den freiwilligen Abbau der wirtschaftlichen Positionen und vieler persönlicher Bindungen an Berlin zur Folge haben müsste.
4) Diese volle Entschlossenheit des Westens, sich nichts mehr abhandeln zu lassen und keine einseitigen Minderungen seiner und unserer Rechte und Freiheiten mehr hinzunehmen, verschärft zweifelsfrei die Gefahr eines Kriegsausbruches. Diese Gefahr ist jedoch für die Sowjetunion nicht geringer als für die anderen. Ihr Interesse an einem Konflikt bleibt auch für sie durch die Rücksicht auf den eigenen Fortbestand und die Erhaltung der gegenwärtigen Substanz begrenzt. Sie hat ihre bisherigen Erfolge nur dadurch erreichen können, dass der Westen auf jedes Vordringen der Sowjetunion mit dem Argument untätig geblieben ist, dass deswegen kein Atomkrieg geführt werden könne. So richtig das ist, so sicher führt diese Einstellung zum allmählichen Verlust Berlins und weiterer Positionen des Westens.
Umgekehrt kann nur der massive Widerstandswille des Westens auch gegen eine stückweise Verkürzung der Berlin-Position dem Kreml das Risiko seines Vorgehens klarmachen und ihn von der anscheinend vorhandenen Meinung abbringen, dass er in Berlin bereits gewonnen habe.
5) Diese in jeder Beziehung intransigente Haltung des Westens ist für absehbare Zeit der einzige Weg, entgegen der bisherigen Entwicklung das Thema der größten internationalen Nachkriegsspannung sich nicht endgültig auf West-Berlin und auf die Bildung eines dritten Staatsfragments einengen zu lassen, sondern zur Deutschland-Frage zurückzuschalten, die dadurch zwar noch nicht gelöst ist, aber doch nicht von der Tagesordnung gebracht werden kann, ohne dass neue Wege für Lösungsmöglichkeiten zur Erörterung gestellt werden.
Diese Hoffnung braucht nicht aufgegeben zu werden, weil auch die Sowjetunion kein Interesse am Atomkonflikt oder daran haben kann, um jeden Preis ein Satellitenregime künstlich am Leben zu erhalten, dessen innere Brüchigkeit ihr gewiss nicht verborgen geblieben ist. Allerdings bleibt die Frage im Augenblick noch unbeantwortet, welches internationale Interesse der Sowjetunion vorteilhafter erscheinen kann als das Interesse an der Erhaltung des kommunistischen Zonenregimes. Dies wiederum hängt nicht allein von den Deutschen ab, die auch selbst nicht den Schlüssel für die Beantwortung der entscheidenden Frage in der Hand haben, von welchem Punkt an die Amerikaner ihre eigene Existenz so gefährdet sehen, dass sie das Risiko des Konflikts eingehen. Das muss ihnen überlassen bleiben. Aber die Berliner und die Deutschen haben andererseits ein Recht darauf, in dem Vorfeld dieser Entscheidung - gewiss von keinem Bündnispartner gewollt, indes allmählich in kleinen Raten und am Ende unvermeidlich - nicht selbst geopfert zu werden.
(B) Niemand will den Atomkrieg.
Noch weniger will ihn jemand um Berlin ausbrechen lassen.
Die Aufforderung und Bereitschaft zu letzter Entschlossenheit soll schließlich, selbst wenn es zur Anwendung militärischer Mittel kommt, nicht zur atomaren Auseinandersetzung führen, sondern nur das Maß von Nervenstärke bewirken, das dem Gegner nicht nachsteht. Aber das ist ein sehr hohes Risiko.
So wichtig Berlin für den Westen auch ist, so wenig sicher ist doch, ob für Berlin ein gleich hohes Risiko wie für London, Paris oder New York eingegangen wird. Das mag von den verschiedenen Verbündeten auch verschieden beurteilt werden. Bei den Neutralen will niemand ein solches Risiko für Berlin laufen. (Nehru am 11.9.: „Es wäre phantastisch”) Sie wirken entsprechend auf die Verbündeten ein und fordern sie zur Kompromissbereitschaft auf. Ein Teil der NATO-Verbündeten will das Risiko trotz aller Grundsatzfestigkeit doch nur begrenzt eingehen. Ist der Westen zu einer so entschlossenen und aktiven Politik wie unter A nicht zu gewinnen, dann ist unvermeidlich, dass ihm jeder Kompromiss über Berlin mehr erwünscht erscheint, als die Krise auch nur in die Nähe eines militärischen Konfliktes zu bringen. Der Konflikt selbst würde Berlin schließlich nicht unversehrt lassen.
Dazu kommt, dass die Frage des Konfliktes voraussichtlich nicht im Zusammenhang mit einer östlichen Aggression gestellt wird, sondern auf jeder weiteren Stufe der Einschnürung West-Berlins stets nur einem relativ kleinen Schritt östlichen Vordringens begegnet, zum Beispiel:
dem Stempel auf dem Reisepapier, der Forderung auf Anmeldung der Flugzeuge bei den Zonenfunkstellen, dem Verlangen nach Aufnahme von Gesprächen mit dem Zonen-Außenministerium, wenn die zurzeit in der Zone sich aufhaltenden Italiener, Belgier, Schweizer sich wieder frei bewegen wollen, und dann stets verneint werden wird.
Danach stellt sich bald die Frage der Anerkennung, die schon jetzt von dem größten Teil der englischen Presse gefordert wird, um einen Konflikt zu verhüten und Berlin weiter das Leben fristen zu lassen.
11) Unter der Voraussetzung der Schaffung von rechtlichen Grundlagen dieser Art ließe sich dann auch darüber reden, ob nicht deutsche technische Kommissionen im Auftrage der Vier - wie es schon im Juni 1949 vorgesehen war - oder in Erfüllung eines stets nur zusätzlich oder ergänzend gedachten UN-Auftrages Fragen des Personen- und Warenverkehrs und andere technische Fragen zwischen West- und Ost-Berlin (vielleicht auch wie bei der Eisenbahn und im Handelsverkehr zwischen den beiden Teilen Deutschlands) erörtern.
12) Die früheren westlichen Vorschläge für die Tätigkeit von Vier-Mächte-Organen für Streitigkeiten oder eines UNO-Vertreters für die Beobachtung der Öffentlichkeitsarbeit sollten weiterverfolgt werden.
Schlussbemerkung:
Diese Erwägungen enthalten mehrere Gefahrenpunkte. Aber sie entspringen nicht der Ansicht, dass sie im Ganzen für gut gehalten werden, sondern dass sich nach der bisherigen Entwicklung kaum mit einer radikalen Kursänderung rechnen lässt und schlimmere Ergebnisse verhütet werden müssen.
Angesichts der inneren Stimmung des westlichen Berlin muss es bald zu Entscheidungen kommen, bevor die schon jetzt sichtbaren Einbussen an Vertrauen und damit an Standhaftigkeit größere Ausmaße annehmen. Die Entscheidungen müssen so aussehen, dass sie auch und vor allem in den Einzelheiten dem Berliner das Gefühl voller Sicherheit und der offenen Tür zurückgeben.
Quelle: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Bestand B01, Band 123, Seite 1-15.