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Die Stärke der „Grenzbrigaden“, die Bewaffnung und die geschilderten Sicherungsmaßnahmen können den Eindruck erwecken, dass West-Berlin fast hermetisch abgeriegelt ist. Weit verbreitet ist die Meinung, dass es sich bei den Soldaten meist um überzeugte Kommunisten handelt, die blindlings auf Flüchtlinge schießen, um Sonderurlaub, Geldprämien oder Auszeichnungen zu erhalten oder befördert zu werden. Es darf demgegenüber nicht unbeachtet bleiben, dass bei gezielten Schüssen viel mehr Flüchtlinge hätten getroffen werden müssen und dass vielen Flüchtlingen bei genauer Beachtung der Dienstvorschriften durch die Soldaten die Flucht nicht gelungen wäre. Obwohl den meisten Soldaten die Flucht wegen der Bindungen an die Familien nicht möglich ist, sind nach dem Bau der Mauer am 13. August 1961 bis zum 1. März 1966 453 Soldaten nach West-Berlin geflohen. Trotz Verbotes, technischer Schwierigkeiten und Strafandrohungen suchen und unterhalten viele Soldaten Kontakte zu West-Berliner Polizei- und Zollbeamten.

„Westliche Sicherheitsbehörden haben am Montag in Frankfurt den am 7. Dezember (1962) mit einem Schlauchboot nach West-Berlin geflüchteten 45 Jahre alten Major der Volksarmee der Sowjetzone, Bruno Erwin Krajewski, der Presse vorgestellt. Krajewski, der zusammen mit seiner Frau, seiner Tochter und einem befreundeten Ehepaar geflohen war, war bis zu seiner Flucht Leiter der Untersuchungsabteilung beim Stab der zweiten Grenzbrigade in Groß-Glienicke.

… Krajewski schätzt die Zahl der Menschen, die flüchten wollen, aber schon im Vorfeld der Sperren entdeckt und festgenommen werden, auf mindestens das zehnfache der Zahl derer, die unmittelbar an den Zaun oder die Mauer herankommen. In den meisten Fallen hätte die Flucht verhindert werden können, wenn die sowjetzonalen Grenzpolizisten dem Schießbefehl gefolgt wären oder genau gezielt hätten.“

 

 

(„Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.02.1962)

„Aber selbst der beste Schütze, der im Schlaf das Schwarze auf der Scheibe trifft, kann nicht ein guter Grenzsoldat sein, wenn er nicht die Klassenfrage in Deutschland begreift, wenn er nicht unterscheiden kann, wer ist mein Freund und wer ist mein Feind, der glaubt, dass auch ein Grenzverletzer ein guter Deutscher sei und der nicht alle seine Fähigkeiten einsetzt, um jede Grenzverletzung und jede Provokation zu verhindern.“

(Der Stellvertreter des höchsten Polit-Offiziers der NVA, Oberst Helbig, zu jungen Grenzsoldaten, zitiert nach „Neue Züricher Zeitung“, 13.6.1963)

Der Begriff „Moderne Grenze“ wird nicht technisch, sondern auch politisch verstanden:

„Die moderne Grenzsicherung erfordert vor allem moderne Menschen“, so heißt es sinngemäß in dem Material der Jugendkommission. Und gerade das ist es, was in vielen Einheiten - bei allen Erfolgen - noch zu kurz gekommen ist. Die Parteileitung war zu dem Ergebnis gekommen, dass die Parteimitglieder vorrangig allen Angehörigen der Kompanie begreiflich machen müssen, wer ihr Freund und wer ihr Feind ist.“

(„Volksarmee“, Nr. 51/1965)


Diese Ausgabe der ADZ ist eine ergänzte Fassung der Nr. 21/1965 vom 3. Juni 1965