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3. Die Ziele der Besetzung Deutschlands, von denen sich der Kontrollrat leiten lassen soll, sind:

(1) Völlige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands und die Ausschaltung der gesamten deutschen Industrie, welche für eine Kriegsproduktion benutzt werden kann oder deren Überwachung. Zu diesem Zweck

a) werden alle Land-, See- und Luftstreitkräfte Deutschlands, SS, SA, SD und Gestapo mit allen ihren Organisationen, Stäben und Ämtern, einschließlich des Generalstabs, des Offizierkorps, der Reservisten, der Kriegsschulen, der Kriegervereine und aller anderen militärischen und halbmilitärischen Organisationen zusammen mit ihren Vereinen und Unterorganisationen, die, den Interessen der Erhaltung der militärischen Tradition dienen, völlig und endgültig aufgelöst, um damit für immer der Wiedergeburt oder Wiederaufrichtung des deutschen Militarismus und Nazismus vorzubeugen;

b) müssen sich alle Waffen, Munition und Kriegsgerät und alle Spezialmittel zu. deren Herstellung in der Gewalt der Alliierten befinden oder vernichtet werden. Die Unterhaltung und Herstellung aller Flugzeuge und Waffen, Ausrüstung und Kriegsgerät ist zu verhindern.

Die Vereinigten Staaten hatten noch vor Unterzeichnung des Potsdamer Protokolls erwogen, inwieweit Verhandlungen mit Großbritannien, Frankreich und der UdSSR über einen 25-Jahresvertrag wünschenswert seien, der garantierte, daß der deutsche Militarismus nicht wieder auferstehen könne. Außenminister James F. Byrnes ergriff die Initiative, als er im September 1945 Molotow und später Stalin einen derartigen Vertrag vorschlug. Durch deren Reaktion ermutigt, unterbreiteten die USA im Februar 1946 einen Vertragsentwurf zur Stellungnahme und eventuellen Abänderung. Die drei Westmächte unterstützten auf der Pariser Konferenz des Außenministerrates im Jahre 1946 und auf der Moskauer Konferenz des Jahres 1947 den Gedanken eines solchen Entmilitarisierungsvertrages. Als Molotow einwandte, daß die vorgeschlagene Frist von 25 Jahren zu kurz sei, stimmten die USA einer 4ojährigen Vertragsdauer zu. Die Sowjetunion brachte jedoch die Verhandlungen über einen solchen Vertrag praktisch zu Fall, indem sie versuchte, zahlreiche nicht zur Sache gehörende und strittige Fragen damit zu verknüpfen.

Während diese Verhandlungen liefen, führten die USA in ihrer Besatzungszone Deutschlands die Bestimmungen des Potsdamer Protokolls durch. In dieser Zone waren im Jahre 1945 die deutschen Streitkräfte und alle verwandten Organisationen aufgelöst worden, und ihre Neubildung wurde gesetzlich verboten. Bis zum Herbst 1947 war das gesamte Kriegsmaterial, von dem man Kenntnis hatte, gesammelt, registriert und entweder zerstört oder, sofern dies möglich war, Friedenszwecken zugeführt. Bis Ende 1948 hatten die US-Besatzungsbehörden alle speziell für die Produktion von Panzern, Kriegsausrüstung im allgemeinen, Flugzeugen, militärischen Sprengstoffen und Giftstoffen errichteten Industrieanlagen sowie alle unterirdischen Fabriken entweder zerstört oder demontiert und als Reparationen abtransportieren lassen. Die Weigerung der Sowjets, Deutschland als eine wirtschaftliche Einheit zu behandeln, machte in der US-Zone Deutschlands eine Revision der Nachkriegspläne im Sinne einer Erhöhung des Industrieniveaus erforderlich, jedoch war dort Ende 1950 die Industrie-Demontage entsprechend dem revidierten Plan für den Umfang der industriellen Produktion im wesentlichen abgeschlossen.

Die Entscheidung, deutschen Streitkräften erneut Waffen in die Hand zu geben, traf die Regierung der Sowjetunion. Am 23. Mai 1950 protestierten die Vereinigten Staaten bei der UdSSR gegen die Remilitarisierung der sowjetischen Zone, wobei sie darauf aufmerksam machten, daß 40—50 000 Mann in der sogenannten „Bereitschaftspolizei“ eine Grundausbildung für Infanterie, Artillerie und Panzerwaffen erhielten und mit militärischen Waffen sowjetischer Herkunft ausgerüstet seien.

Ende 1953 verfügte die Sowjetzone bei einer Bevölkerungszahl von 17 Millionen über eine starke „Polizeitruppe“ (insgesamt 100 000 Mann), zu der weitere 140 200 Mann Militär, darunter drei mechanisierte Divisionen und Luftwaffeneinheiten, hinzukamen. Außenminister Dulles protestierte bei Außenminister Molotow auf der Berliner Außenministerkonferenz im Februar 1954 nachdrücklich gegen diese Entwicklung. Dies geschah über ein Jahr vor der Aufstellung einer bewaffneten Streitmacht in der Bundesrepublik, die bis dahin bei 50 Millionen Einwohnern lediglich über eine 150 000 Mann starke reguläre Polizei verfügte.

Die Westmächte — die USA, Großbritannien und Frankreich — erkannten, daß aus der Wiederaufstellung und Bewaffnung deutscher Streitkräfte in der Sowjetzone eine tiefgreifende Unsicherheit für Westdeutschland resultierte, zumal sich die Situation infolge der Machtübernahme der Kommunisten in Polen und der Tschechoslowakei in den Nachkriegsjahren und seit Beginn der kommunistischen Aggression in Korea im Juni 1950 aufs äußerste verschlimmert hatte.

Die Schlußakte der Londoner Neunmächte-Konferenz vom 3. Oktober 1954 sah die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik und den Anschluß der Bundesrepublik an den Westen als Mitglied der Nordatlantikpakt-Organisation und der Westeuropäischen Union (Brüsseler Vertrag) vor.

Nach ihrem Beitritt zum Nordatlantikpakt und zum Brüsseler Vertrag erklärte die Bundesrepublik auf der Londoner Konferenz, daß sie sich „aller Maßnahmen enthalten“ würde, „die mit dem streng defensiven Charakter dieser beiden Verträge unvereinbar sind“, und daß sie niemals „mit gewaltsamen Mitteln . . . die Wiedervereinigung Deutschlands . . . oder . . . die Änderung (ihrer) gegenwärtigen Grenzen herbeiführen wird. . .„

In den Noten vom 10. September 1954 versicherten die USA, Großbritannien und Frankreich der Sowjetunion, daß „die Assoziierung der Bundesrepublik Deutschland . . . mit einem Verteidigungssystem — lange nach der Wiederaufrüstung Ostdeutschlands und weit davon entfernt, eine Bedrohung der europäischen Sicherheit darzustellen — dazu bestimmt ist, andere Nationen davon abzuhalten, nach Belieben von Drohungen oder Gewalt Gebrauch zu machen. Dies ist die beste Sicherheitsgarantie für alle Nachbarn Deutschlands, für Deutschland selbst und für die Gesamtheit Europas.“

Präsident Eisenhower stellte auf der Genfer Konferenz von 1955 denselben Punkt nochmals völlig klar, indem er betonte: „In keinem Fall bilden irgendwelche Teile der Deutschland zugestandenen Streitkräfte komplette oder in sich abgerundete Einheiten. Sie sind sämtlich mit den Streitkräften der anderen westlichen Nationen verflochten, wodurch es ihnen unmöglich gemacht wird, auf eigene Faust wirksame militärische Operationen zu führen.“

Neben den Beschränkungen, die der Bundesrepublik durch Einbeziehung in die stark verzahnte Befehlsstruktur der NATO hinsichtlich ihrer Befähigung zu selbständigen militärischen Aktionen auferlegt wurden, existieren die freiwilligen Verpflichtungen des Bundeskanzlers (Protokoll Nr. III des revidierten Brüsseler Vertrages), auf dem Gebiet der Bundesrepublik keine Waffen für die atomare, biologische oder chemische Kriegführung herzustellen. Der Bundeskanzler verzichtete ferner auf die Produktion von weittragenden Geschossen und Fernlenkgeschossen, von Kriegsschiffen — mit Ausnahme kleiner Fahrzeuge für Verteidigungszwecke — und von strategischen Bombern.