„Guten Abend, meine Damen und Herren
von Gesinnung und geistiger Haltung sprach Bundeskanzler Erhard am Weihnachtsabend. von Tugenden und Rechtschaffenheit, von Opfersinn und Gemeinsinn, und davon, dass selbst härteste Geister nachdenklich gestimmt seien zu weihnachten, und niemand möge sich als Pharisäer aufspielen.
24 Stunden später stehen Erhard und seinesgleichen als übelste Pharisäer da, als Feinde jeglicher Tugend und Rechtschaffenheit. als härteste Gemüter, weit entfernt von jedem nachdenken und bar jeder Einsicht. Denn wenn ein Angehöriger seiner Bundeswehr, als Ostpreuße revanchistisch verhetzt, mit seinem Bruder den Weihnachtsverkehr in Berlin, das große von der DDR ermöglichte Familientreffen missbraucht, Vorschriften zur Regelung des Grenzverkehrs verletzt, Soldaten unserer Grenztruppen und westdeutsche Besucher an Leib und Sache gefährdet, mit unglaublicher Brutalität durch Grenzsperren hindurchrast und dabei ums leben kommt, dann ist er nächst seiner eigenen Abenteuerlichkeit und Dummheit Opfer eben der Politik dieses sogenannten christlichen Kanzlers, der so salbungsvoll im Kerzenlicht vom tiefen Sinn des Weihnachtsfestes zu predigen weiß, und der so wortreich seinen Sorgen und Befürchtungen für den Frieden der Welt Ausdruck gibt. Nicht ohne das Schicksal der Landsleute drüben zu beklagen.
Woher, meine Damen und Herren, kommen Spannungen? Von Grenzen? Noch niemals hat eine Grenze Spannungen hervorgerufen. Noch niemals ist ein Grenzzwischenfall durch eine Grenze verursacht worden. Grenzzwischenfälle werden von Leuten verursacht, die Grenzen nicht anerkennen und missachten. Spannungen werden von Leuten hervorgerufen, die Grenzen verändern und beseitigen wollen. Schauen sie, das ist der logische innere Zusammenhang zwischen der Bonner Politik und den Schüssen zu Weihnachten in Berlin. Die DDR sei kein Staat, sondern nur eine Zone, die befreit werden müsse, das ist Bonner Regierungspolitik offiziell. So steht es auf dem Panier der Presse, vom 'Bild' bis zum 'Spiegel'. so reden es Rundfunk und Fernsehen den Menschen ein, dafür wird die Bundeswehr gedrillt, dafür fährt Erhard nach Amerika, nicht um der Liebe willen, sondern wegen Atomwaffen.
Und so ist es dem Bundeswehrangehörigen Heinz Schöneberger aus Gandersheim gleichgültig, dass an der Grenze der DDR die Gesetze der DDR gelten. Es macht ihm gar nichts, einen Offizier unserer Grenztruppen in rasendem Spurt 20 Meter mitzuschleifen. ihm ist es auch völlig egal, wenn er auf seiner Amokfahrt innerhalb des Grenzkontrollbereichs ,Heinrich-Heine-Straße' das Fahrzeug des Hamburgers Henry Fritsche rammt. Er hat auch einkalkuliert, dass die beiden Mädchen, die aus der DDR entführt werden sollten, in Lebensgefahr gerieten. Das eine ist übrigens 17 Jahre alt, das andere von so hoher Moral, dass es bereit war, sein Kleinkind einfach in Stich zu lassen. Das alles macht nichts, man weiß ja, die DDR ist kein Staat, ihre Grenze keine Grenze und ihre Gesetze sind keine Gesetze.
Und die Westberliner Agenten-Organisation, die den Schöneberger wochenlang vorbereitet, ausgebildet, beraten und als günstigsten Zeitpunkt für die Grenzprovokation eben die Weihnachtszeit festgelegt hat, sie sagt ja auch, das muss so sein, das ist recht und für die Freiheit muss man etwas riskieren. Man riskiert ja jedes Weihnachten etwas. Vor zwei Jahren gab es eine blutige Provokation, voriges Jahr ermordete man unseren Unteroffizier Eqon Schulz. Und zu diesem Fest war ja der Gewaltakt Schönebergers nicht der erste. Am 22. Dezember war vom Westberliner Bezirk Kreuzberg aus ein gewaltsamer Grenzdurchbruch in die DDR versucht worden. Und am 23. Dezember wurde auf den Berliner Grenzgewässern ein Boot unserer ,Nationalen Volksarmee' von Westberlin aus beschossen.
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Zufälle? Private Verzweiflungsakte? Bei uns braucht niemand zu verzweifeln. Die wahnwitzig, kostspielige und selbstmörderische Atompolitik wird nicht bei uns betrieben, sondern in Bonn. Und von Bonn aus versucht man, Westberlin und die Westberliner mit hineinzuziehen. Und wenn unsere Staatsgewalt vom Volke ausgeht und den Arbeiter- und Bauernstaat und seine grenzen schützt, dann kommt ein hergelaufener ausländischer Stadtkommandant in Westberlin und gibt dumme Sprüche von sich. Da versucht ein Westberliner Senatssprecher wahrheitswidrig und wider besseres Wissen, die Spur der wahren Schuldigen zu vorwischen. Da muss Herr Höfer im Westfernsehen seinen Senf dazu geben, ein Deutscher sei von einer deutschen Kugel getroffen worden, weil er von Deutschland nach Deutschland wollte. Nein, so nicht. Hier wollte nicht ein Deutscher von Deutschland nach Deutschland, sondern zwei Bürger eines deutschen Staates haben Grenze, Gesetze und Hoheit des anderen deutschen Staates auf das gemeingefährlichste verletzt. Man begreife endlich, dass das gefährlich ist und dass, wer sich in Gefahr begibt, darin umkommen kann. Man lasse sich nicht Ursache und Wirkung durcheinanderbringen. Man verstehe endlich, dass man im Guten mit der DDR sehr gut, ausgezeichnet auskommt. Die Berliner können es zur Zeit gerade wieder bestätigen, dass man jedoch im bösen nichts erreicht, nicht im kleinen und nicht im großen. Wir lassen uns weder Ostern noch Pfingsten, noch Weihnachten noch sonst wann überrumpeln, nicht von einem Schöneberger und nicht von der Bundeswehr.
In der Weihnachtsnacht war ich mit meiner Frau an unserer Staatsgrenze in Berlin bei unseren Grenzern. In Unterkünften an Grenzübergängen und bei einsamen Posten. Das sind junge Menschen, geboren in der DDR oder als Kinder hineingewachsen in die Deutsche Demokratische Republik. Sie sind gute Deutsche. Und dieser Staat ist ihr Staat, sie empfinden ihn als ihren Staat und stehen für ihren Staat, weil die DDR und Frieden identisch sind. Pflichtbewusst, getreu ihrem Eid und in voller Verantwortung begegnen sie dem entgegenkommend, der im Guten kommt oder geht. wer es aber im Bösen versucht, ist ihr Feind und bekommt es zu spüren. Richten sie also Empörung an die richtige Adresse, meine Damen und Herren im Westen. Man braucht die Schlagzeilen ihrer Presse morgen früh noch gar nicht zu kennen, man weiß, was sie ihnen ins Ohr brüllen wird. Lassen sie sich nicht taub und blind schreien. denken sie an Ursache und Wirkung. Und vergessen sie bei Schüssen an der Grenze der DDR nicht die Politik ihres biederen Kanzlers, der so erbaulich von sittlicher Haltung, Tugend, Rechtschaffenheit und formierter Gesellschaft zu plaudern weiß, während er für seine Generale Atomwaffen einkaufen fährt und seine Provokateure schon immer mal die Festigkeit unserer Grenzen testen.
So lange sie solchen Leuten die Macht geben, solange gehört zum Frieden auf Erden, auch zum Frieden auf deutscher Erde, die M A S C H I N E N P I S T O L E in den Händen der Soldaten unserer Nationalen Volksarme.“
Quelle: Aktuelle Kamera, Ostberliner Fernsehen, Ausstrahlung am 26.12.65. Auszüge aus diesem Kommentar wurden am 27.12.65, gegen 10.10 Uhr, in der „Zeitfunksendung“ des Ostberliner DEUTSCHLANDSENDERS verlesen
Tipp DVD 1: Wendezeiten : das Ende von Mauer, Macht und Staatssicherheit ; 1990-1991 ; [DVD Video] [DVD]. - 1 DVD (ca. 145 Min.) : s/w und Farbe. - enthaltene Werke: Stasi am Ende? - Die Auflösung des Geheimdienstes. Alles unter Kontrolle? - Video-Überwachung der Staatsfeinde. Vernichten oder aufbewahren? - Stasi-Akten als politische Zeitbombe. Den Bock zum Gärtner? - Der neue DDR-Justizminister Wünsche. Wer trägt die Schuld? - Schießbefehl und Mauertote. Vom Rechtsbeuger zum Rechtsanwalt - Die Karriere von DDR-Juristen. Unentdeckt in die deutsche Einheit - Die Stasi-Offiziere im "besonderen Einsatz". Die Wahrheit muss raus - Bekenntnisse einer Stasi-Agentin. Von der Stasi zum BGS - Alte Schnüffler in neuen Uniformen. Die Freunde als Stasi-Spitzel - Die Eröffnung der Gauckbehörde. - Hinweise auf frühere Ausgaben und Bände: Orig.: Bundesrepublik Deutschland, 1990-1991
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