Kamera: Dieter Hoffmann, Berlin (West)
Equipment: Arriflex 16mm
Datum: 15. August 1961
Drehort: Bernauer-/Ecke Ruppiner Straße, Berlin (West) - Wedding
Handlungsort: Ruppiner-, Ecke Bernauer Straße, Ostberlin-Mitte
Sequenzdauer: 17 sec.

Die auszubildende Fotograf Dieter Hoffmann stand auf der westlichen Seite der Sektorengrenze an der Ecke Bernauer-, Rupppiner Straße und beobachtete das Geschehen, denn er hatte den Auftrag, Schnittbilder zu drehen. Dabei bemerkte er einen jungen Vopo, der nervös von einem Bein aufs andere wechselte und dabei hastig Zigaretten konsumierte. Zudem hatte Dieter zwei weitere Vops im Blick, die auf der anderen Straßenseite der Ruppiner auf und ab patrouillierten.

Man muss daran erinnern, dass Dieter nur für zwei Minuten Film in seiner 18mm-Arriflex hatte. Waren die abgedreht, musste aufwendig der Film gewechselt werden, und in dieser zeit durfte auf keinen Fall das wichtige Ereignis geschehen. Heute kann digital stundenlang Aufgezeichnet werden, und es ist völlig egal, ob die Person an der Kamera ein Gespür für die Zeit hat. Dieter hatte zwei Minuten und einen dunklen Sucher sowie ein Objektiv mit einem geringen Blendenwert, außerdem arbeitete er Freihand, um schnell – im damaligen Kontext - seinen Standort wechseln zu können. Es war August, der 15. und es war hell.

Später berichtete Conrad Schumann im Interview, dass er ca. 30 Minuten vor seiner Flucht mit inneren Zuständen kämpfen musste. Um seine Nervosität zu verbergen, rauchte er eine Zigarette nach der Anderen und erreichte damit, dass Dieter Hoffmann sowie Peter Leibing, ein junger Fotograf aus Hamburg, auf ihn aufmerksam wurden und ohne sich abzusprechen, sich in Position brachten. Dieter stand dicht an der Sektorengrenze, während Dieter Leibing schräg versetzt hinter ihm stand. Ein zweiter Fotograf beobachtete ebenfalls die Szene, war dann aber im richtigen Moment an der falschen Stelle und sollte später behaupten, dass er das berühmte Foto gemacht hat. Erst nach einem jahrzehntelangen Rechtsstreit gelang es Peter Leibing, den Lügner als solchen zu entlarven.

Dieter Hoffmanns Gespür für die Zeit war exzellent: die Filmkamera begann zu laufen und zeigt den nervösen Vopo, dann schwenkt das Auge auf die andere Straßenseite zu zeigt, wie zwei „Volkspolizisten“ von der Sektorengrenze weg marschieren, in Richtung Hinterland, um auf Höhe der Rheinsberger umzudrehen, um wieder zur Sektorengrenze zurück zu marschieren. Aber bevor es zur Kehrtwendung kommt, schwenkt die Kamera auf Conrad Schumann zurück und hält fest, wie dieser losrennt, um mit einem gewaltigen Satz über die Stacheldrahtrolle zu springen. Im Sprung wirft der Vopo seine Kalaschnikow fort und rennt in einem Zuge weiter. Die Kamera schwenkt mit und hält fest, wie der Fahnenflüchtling in einem Mannschaftswagen der West-Berliner Polizei verschwindet. Der Film zeigt noch, wie ein Stupo zur Sektorengrenze läuft und die Waffe einsammelt.

Conrad Schumann berichtet später, dass er auch Angst vor der westlichen Seite hatte, denn natürlich konnte sich damals ein sowjetzonaler Vopo kein objektives Bild von der „gegnerischen“ Seite mehr bilden, da die SED-Propagandamaschine auf vollen Touren lief und den Westen als reaktionär und kriegstreiberisch verteufelte.

Die Presseberichterstattungen über die Fluchten aus der Sowjetzone nach Berlin (West) bzw. ins andere Deutschland sprachen sicherlich eine andere Sprache, aber die Bevölkerung in den abgelegenen Landstrichen hatten keinen Zugang zur West-Presse, die zudem – wie das Hören des RIAS – verboten war. Heute würde man sofort seine digitale Datei auf der Filmkamera kontrollieren; damals war das nicht möglich. Dieter nahm den Film aus der Kamera und schickte ihn nach Hamburg, wo er für die Tagesschau entwickelt und geschnitten wurde. Erst als er die 20.00 Uhr Tagesschau gesehen hatte, konnte Dieter aufatmen. Richtig belichtet! Schärfe stimmt! Dieter blieb Assistent mit Drehverpflichtung auf Abruf auf täglicher Basis. Sein Kamerachef eignete sich die Urheberschaft an und erst Jahre später konnte Dieter Hoffmann erreichen, dass ihm die Urheberschaft nicht mehr vorenthalten wurde.

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