Eröffnung der Ausstellung "Der Kalte Krieg - Ursachen - Geschichte - Folgen" mit Eberhard Diepgen als externer Bewerter der 22 A1-großen Tafeln mit anschließender Diskussion mit Prof. Dr. Bernd Greiner über Kritik und Fragen der Gäste.
G A S T K O M M E N T A R
Ausstellung „Der Kalte Krieg“ – eine Analyse von DR. HANS-GEORG WIECK, Botschafter a.D.
1. Gut, dass es diese Ausstellung gibt und hoffentlich auch Diskussionsveranstaltungen in diesem Zusammenhang mit Instituten, Schulen, Hochschulen, Medien.
Die Ausstellung beschränkt sich nicht auf die Zeitepoche des „Kalten Krieges in Europe“, bei dem es nach dem Zweiten Weltkrieg um das Ringen der vier Siegermächte (USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich) um die neue Friedensordnung in Europa und um einen Friedensvertrag mit Deutschland ging – einen Kalten Krieg also, der mit den Dokumenten von 1990 endete (Zwei-Plus-Vier-Vertrag vom August 1990, KSE-Vertrag über die Begrenzung der konventionellen Streitkräfte in Europa vom November 1990 und mit der Charta von Paris vom November 1990) und einvernehmlich die europäische Friedensordnung besiegelte.
Aber diese Dokumente, die den Kalten Krieg in Europa beenden, erscheinen in der Ausstellung nicht, weil es den Gestaltern der Ausstellung gar nicht auf die begrenzte Natur des Konflikts in Europa geht (Ende des Weltkrieges und Ringen um die Friedensordnung in Europa), sondern darauf ankommt, unter dem Begriff „Kalter Krieg“ , das weltweite Ringen der USA, der Sowjetunion und Chinas um Weltmacht und das Ringen um wirtschaftliche Interesse geht.
Die Gestalter benutzen die bekannte Konnotation – Kalter Krieg um die Zukunft Europas - als Metapher, um einen weltweiten „Kalten Krieg“ zu konstruieren, der von den drei Mächten um die Beherrschung der Welt geführt wird. Und daher kann es für das mit den Konferenzen von Jalta und Potsdam im Jahre 1945 eingeleitete Ringen um die Zukunft Europas keinen Endpunkt in Europa geben, obschon es den Endpunkt mit den Verträgen von 1990 gegeben hat.
Die komplexe Welt der Gegenwart als einen „Kalten Krieg“ zwischen zwei oder drei Mächte um Weltherrschaft und wirtschaftliche Interessen dieser Mächte zu deklarieren, stellt eine sehr gewagte Hypothese zum genuinen Charakter der Weltpolitik unserer Tage dar.
Der Betrachter wird unter Nutzung der Metapher „Kalter Krieg in Europa in einem begrenzten historischen Szenario mit der These konfrontiert, dass sich die Welt im „Kalten Krieg“ der Weltmächte befand und alles andere in diesem Zusammengang zweitrangig sei. Auch die parallel zum Kalten Krieg in anderen Teilen der Welt geführten Kriege hatten nur einen begrenzten Bezug zur Lageentwicklung in Europa. Das Ringen um die Dekolonisierung der Welt war ein Konfliktstoff eigener Prägung.
2. Einige Bemerkungen historischer Relevanz zum Kalten Krieg in Europa::
Vorbemerkung
In dem ersten Schaubild, das die Frage aufwirft, ob es einen neuen Kalten Krieg gibt, wird auf die Möglichkeit eines Präventivschlags der USA in einem Cyberkrieg hingewiesen – warum nicht auch auf die neue russische Militärdoktrin, die für Russland das militärische Interventionsrecht in den Nachbarstaaten und auch die Möglichkeit des Einsatzes nuklearer Waffen beansprucht.
Wenn ich die Ausstellungeplant hätte, hätte ich sie mit der Jalta-Konferenz zu Beginn des Jahres 1945 eingeleitet (Stalin, Roosevelt Churchill) und mit den Dokumenten von 1990 über die Vereinigung Deutschlands, das vertragliche Abrüstungsprogamm für Europa (KSE-Vertrag) und der Charta von Paris (Das Gemeinsame Haus Europa) beendet.
WARUM?
- In dem Bestreben, Stalins Zustimmung zur Gründung der Vereinten Nationen als wichtigstem friedenstiftenden und -erhaltenden System zu erhalten, gab Roosevelt gegen den Willen von Churchill der sowjetischen Forderung nach Dominanz in Polen und Osteuropa nach: Eine polnische Regierung sollte vom Lubliner Komitee unter „Hinzufügung einiger Demokraten gebildet“ werden.
- Für die Unabhängigkeit Polens hatten Großbritannien und Frankreich – gegen einen deutschen Angriff – nicht für einen sowjetischen Angriff – eine Beistands-Garantie gegeben. Nun musste die britische Regierung die polnische Exilregierung in London de-akkreditieren. Nun war die polnische Selbstbestimmung geopfert worden. Hinsichtlich der anderen von den Sowjets dann noch besetzten Länder wurden weichere Formeln für die Bildung demokratischer Regierungen benutzt – nur in Bezug auf Jugoslawien die führende Rolle von Tito bekräftigt. Bis 1990 musste Polen auf seine Selbstbestimmung warten.
- Am 12.Mai 1945 - also 4 Tage nach der deutschen Kapitulation - schrieb Winston Churchill an den neuen US-Präsidenten Harry Truman, der noch die Last des Kampfes gegen Japan tragen musste, - er müsse unbedingt nach Europa kommen, um sich von der besitzergreifenden Politik der Sowjetunion ein eigenes Bild zu machen. Er kam nach Berlin (Potsdamer Konferenz) , hatte den erfolgreichen Nukleartest in der Wüste von Nevada in der Tasche und entschied:
Im krassen Gegensatz zu den Absichten von Roosevelt entschloss sich sein Nachfolger, Harry Truman, in Europa zu bleiben :Die USA bleiben bis zur Regelung aller Europa-Fragen militärisch und politisch in Europa, Churchill ergänzte diesen weitreichenden Beschluss – anders als 1919 – mit der Forderung nach einer europäischen Einigung, um die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich als Grundlage der Sicherheit und des Wiederaufbaus zu legen. Damit hatte Churchill einen Plan für die europäische politische Nachkriegsordnung präsentiert – früher als jeder andere Politiker – außer Stalin, der mit dem Konzept der Unterwerfung Europas unter die kommunistische, die sowjetische Diktatur ein nicht zu übersehendes Konzepthatte, das auch in die Wirklichkeit umgesetzt wurde, wo immer die Herrschaftsverhältnisse das erlaubten.
- Die USA sagten Hilfe beim Wiederaufbau Europas, auch der Sowjetunion und Osteuropas unter der Bedingung der Einbeziehung Deutschlands zu (Ablehnung Morgenthau-Pläne für Deutschland). Damit war der Weg zu einem neuen Versailles ausgeschlossen worden (Morgenthau-Plan). Europa sollte mit Deutschland, nicht ohne Deutschland und nicht gegen Deutschland wieder aufgebaut werden.
- Das waren die wichtigsten Entscheidungen der USA und Großbritanniens im Kalten Krieg.
- Die Berlin-Blockade 1948/9 (gegen West-Berlin) hat den letzten Anstoß zum NATO-Bündnis gegeben, das auch die Bundesrepublik Deutschland unter Schutz stellte, weil sich die drei Westmächte die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik bis zur Bildung deutscher Streitkräften vorbehielten und die alliierten Truppen in Berlin direkt im Vertrag als schutzwürdig definiert wurden. Das war die offene machtpolitische Auseinandersetzung Ost West um die Zukunft des deutschen Potenzials. Die USA und Großbritannien unterstürzten die europäische Einigung, um den wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands in ein sicheres europäisches Umfeld einzubetten. Die sowjetische Seite musste ihren Herrschaftsraum durch mehr als nur die beiden in der Ausstellung genannten gewaltsamen Interventionen in Berlin 1953 und 1956 in Ungarn, sondern auch 1968 in der Tschechoslowakei und indirekt in Polen 1970 stabilisieren - mit Gewalt.
- Gorbatschow hat diese Doktrin von Anfang an aufgegeben und damit den Weg zur Selbstbestimmung in Ostmitteleuropa und zur Lösung der deutschen Frage frei gemacht. Damit war der Weg frei für die zivilgesellschaftlichen Aktivitäten in den „Satellitenstaaten“ der Sowjetunion. Moskau ist nicht durch die Bürgerbewegungen „in die Knie“, zum Kurswechsel gezwungen worden, sondern durch den aus mehreren inneren Gründen erfolgten Politikwechsel in der Sowjetunion selbst (wirtschaftliche, gesellschaftliche und technologische Stagnation – im Vergleich zum Westen).
- Die Chruschtschow-Ultimaten gegen Berlin ab 1958 waren sehr gefährlich, weil es bei Kennedy die politische Bereitschaft gab, die alliierten Rechte gegen einen UNO-Status für West-Berlin preiszugeben. Sein Besuch in Berlin 1963 – kurz vor seiner Ermordung – bekehrte ihn: Vor den Schöneberger Rathaus sagte er in Anlehnung an den Spruch des freien römischen Bürgers -civis romanus suum – „Ich bin ein Berliner!“
1. Der Kalte Krieg ging um die Überwindung des ideologischen und machtpolitischen Gegensatzes in Sachen Deutschland – einer Voraussetzung für die Wiedererstellung der deutschen Einheit und einer gesamteuropäischen Friedensordnung!
3. Die Anwendung der Nuklearbombe gegen Japan wird in der Ausstellung mit dem Wunsch der USA nach Demonstration der Stärke der USA gegenüber der Sowjetunion definiert – das mag für die zweite Bombe gelten, aber die Alternative zu dieser militärischen Aktion war die gewaltsame Landung auf den japanischen Hauptinseln – und nach den verlustreichen Kämpfen auf den Vorfeld-Inseln war mit hohen Verlusten für beide Seiten zu rechnen. Daher hatte die erste Bombe schon eine primär militärische Bedeutung, nämlich den Willen der japanischen Regierung zu Fortführung des Krieges zu brechen.
4. Bei dem Thema Werkzeuge der Apokalypse sollte schon erwähnt werden , was an anderer Stelle dann noch geschieht, dass die USA – mit der Washington Rede von Kennedy im Juni 1963 – die Initiative für Rüstungskontrollabkommen mit der Sowjetunion über Nuklearwaffen ergriffen haben und dann ja auch erste Abkommen – Teststopp und NV Vertrag mit der Zusage der der Nuklearmächte zur eigenen nuklearen Abrüstung -- geschlossen wurden.
5. Der Feind im Inneren
In diesen Tagen wird über die russische Desinformationskampagne gegen den Westen, vor allem gegen Deutschland, gegen Angela Merkel geklagt. Ich muss in Erinnerung rufen, dass die Bundesrepublik Deutschland während des ganzen Kalten Krieges offener und verdeckter Unterminierung / Unterwanderung durch die Sowjetunion und die DDR ausgesetzt war (Vorwurf Neofaschistischer Tendenzen, NS-Personal in den staatlichen Einrichtungen) – bis zu dem Punkt, dass die Bundesregierung es nicht wagte, den BND – den Auslandsnachrichtendienst, der aus der Organisation Gehlen hervorgegangen war - an den Sitz der Regierung zu verlegen - als unverzichtbares Beratungsinstitut in Sicherheitsfragen. Das geschah erst ohne große innenpolitische Debatte, als es keine DDR mehr gab!
Die KPD wurde verboten –es gab sie dann im Untergrund und in einer Neugründung mit bereinigter Satzung, in West-Berlin auch eine SED.
6. Die „Roll-back„–Politik wurde mit dem Abgang von Eisenhower und Dulles („massive Retaliation on an Attacke“) abgelegt und durch die von Botschafter Kennan vorgeschlagene Eindämmungspolitik (Containment) ersetzt.
7. In der Tat – China und die USA gingen in den achtziger Jahren ein Bündnis gegen die Sowjetunion ein. Sie forderten beide: Schließung der sowjetischen Basis in DaNang/Vietnam, Reduzierung der sowjetischen Truppen an der chinesisch-sowjetischen Grenze und Rückzug aus Afghanistan.
8. Gorbatschow hat dann nicht nur mit dem Westen, sondern auch mit China einen Modus Vivendi gesucht und gefunden. In der Sowjetunion selbst hat er mit der Preisgabe des Machtmonopols der KPdSU das Instrument aus der Hand gegeben, mit dem die inneren Reformen hätten eingeleitet werden können. In das Vakuum stieß der Nationalismus der Gliedstaaten - mit der Folge der Auflösung der Sowjetunion im Jahre 1991 und der späteren Folge der Renaissance eines extrem militanten russischen Nationalismus, den wir jetzt unter Putin erleben.
9. Entspannungspolitik. Hier fehlt der Hinweis auf die seit den sechziger Jahren (Harmel-Bericht) bestehende NATO-Doktrin „Verteidigung (Abschreckung) und Entspannung“. Die Entspannungspolitik darf sich nicht von den militärischen Realitäten lossagen. Einige Vordenker meinten und meines es noch heute, das tun zu können.
10. Bei dem Aufbruch in die Selbstbestimmung fehlt der Hinweis – und dieser Vorwurf ist gravierend - auf den KSE-Vertrag vom 19. November 1990 in Paris (Reduzierung der konventionellen Streitkräfte in Europa) und auf die Charta von Paris vom 21. November 1990, mit der die Umwandlung der kommunistisch verfassten Staaten in offene demokratische Staaten und Gesellschaft, die Geltung der individuellen Menschenrechte, die Gewaltenteilung und die private Marktwirtschaft vereinbart und auch von Gorbatschow unterschrieben wurde.
Diese Unterlassung lässt weitreichende Vermutungen über die ideologischen Absichten der Gestalter dieser Ausstellung zu.
Wie kam es zu der fundamentalen Kurs-Änderung in der Sowjetunion? Diese Frage hätte in der Ausstellung beantwortet werden müssen.
Dies ist ein sehr gravierender Mangel der Ausstellung.
11. Der friedliche Mauerfall sollte auch erwähnt werden, weil er die Verhandlungen über die Möglichkeit der Vereinigung Deutschlands zu Verhandlungen über die Umsetzung der de facto vollzogenen Einheit ummünzte. Mit der Verständigung auf der strategischen Ebene zwischen den USA und der Sowjetunion wurde die friedliche Vereinigung Deutschlands möglich. Sie lag auch im Interesse der beiden Großmächte.
Berlin, 19.03.2016
DR.HANS-GEORG WIECK (Botschafter a.D.)
Link 1.: Geschichtslexikon Kalter Krieg (1945-1990)
Link 2: Cold War: A Landmark of ...
Link 3: The Cold War over CNN’s Cold War
Zitat: "The Cold War, by definition (primarily) a nonmilitary conflict, was something else entirely. It pitted against each other two very different conceptions of life: one that stressed human rights and the rule of law, and another that subordinated human rights and law entirely to the interests of the state. In this contest, the rivals, even if they sometimes employed the same means, were not comparable. To render the Cold War properly, one must grasp and convey in unequivocal terms the difference between the aims as well as the methods of each side. No one will have any difficulty conceding this point in respect to World War II, when one of the adversaries represented pure evil in word as well as deed. It is somewhat more difficult in the case of the Cold War because the Soviet regime, although in deeds not much different from the Nazi one, in rhetoric liked to flaunt Western ideals."
Link 4: Cold War on Wikipedia
Tipp: 1: Der Kalte Krieg / Bernd Stöver. - 4., durchges. Aufl., Originalausg. - München : Beck [Veröffentlichung], 2012. - 128 Seiten : Kt.
(Beck'sche Reihe ; 2314 : C.-H.-Beck-Wissen)
Literaturverz. S. [123] - 125.
ISBN 978-3-406-48014-0
Tipp 2: Entscheidungen im Kalten Krieg : von der Konferenz in Potsdam bis zum Krieg in Vietnam ; [Hörbuch] ; [CD] [CD] / Autor und Sprecher: Rolf Steininger. - [Innsbruck] : Studien-Verl. [Veröffentlichung], [2009]. - 3 CD (ca. 226 Min.).
ISBN 978-3-7065-4712-3
Tipp 3: Codename U.N.C.L.E. : [DVD-Video] [DVD-Video] / Regie: Guy Ritchie. Drehb.: Lionel Wigram ... Kamera: John Mathieson. Musik: Daniel Pemberton. Darst.: Henry Cavill ; Armie Hammer ; Alicia Vikander .. - Hamburg : Warner Home Video [Veröffentlichung], 2015. - 1 DVD (ca. 111 Min) ; Bildformat: 16:9 ; 2,40:1. - Bevorzugter Titel: The man from U.N.C.L.E. <dt.>. - Untertitel: Französisch, Niederländisch. Untertitel für Hörgeschädigte: Deutsch, Englisch, Italienisch. - Ländercode 2. - Orig.: USA, 2015
Tipp 4: Der Kalte Krieg : eine illustrierte Geschichte, 1945 - 1991 / Jeremy Isaacs und Taylor Downing. [Aus dem Amerikan. von Markus Schurr ...]. - Taschenbucherstausg. - München : Heyne [Veröffentlichung], 2001. - 437 Seiten : überw. Ill. ; 26 cm.
(Heyne-Bücher ; 19 : 19, Heyne-Sachbuch ; 790)
Bevorzugter Titel: Cold war <dt.>. - Aus dem Engl. übers.. - Waffenbrüder 1917-1945, Der Eiserne Vorhang 1945-1947, Der Marshallplan 1947-1952, Berlin 1948-1949, Korea 1949-1953, Die Roten 1948-1953, Nach Stalin 1953-1956, Sputnik und die Bombe 1949-1961, Die Mauer 1958-1963, Guatemala und Kuba 1954-1962, Vietnam 1954-1968, Sicherheit durch Abschreckun 1961-1972, Kulturkriege 1960-1968, Entspannung 1959-1975, Stellvertreterkriege 1967-1978, Eiszeit 1977-1981, Reagan 1981-1984, Gorbatschow 1984-1988, Die Macht des Volkes 1989, Wie es endete 1990-1991.
ISBN 3-453-19710-0