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Der Berliner Fotograf und Kameramann Günter Lahmann fotografierte 1962 den Fuhrpark des Studios direkt an der Zonengrenze auf dem Flugplatz Gatow gegenüber einer NVA-Kaserne. Das Studio war dort aufgefahren, um die NVA-Soldaten beim Mittagessen mit Informationen zu versorgen, die ihnen von der SED-kontrollierten Einheitspresse vorenthalten wurden. Fotos: © Günter Lahmann, Audio: Sammlung Heinz Gerull

„Männer der Nationalen Volksarmee! Wer einen Menschen erschießt, begeht einen Mord. Dieser Mord ist weder vor dem Gewissen, noch vor dem Gesetz zu rechtfertigen.

Sie hören die letzte Sendung des Studios am Stacheldraht vom 7. Oktober 1965.


Achtung! Achtung! Hier spricht das „Studio am Stacheldraht“

Männer der Nationalen Volksarmee! Wer einen Menschen erschießt, begeht einen Mord. Dieser Mord ist weder vor dem Gewissen, noch vor dem Gesetz zu rechtfertigen.

Gestern früh verblutete in unmittelbarer Nähe eures Grenzüberganges, ein Angehöriger der Nationalen Volksarmee. Er wurde von seinen Kameraden erschossen, nur weil er von Deutschland nach Deutschland gehen wollte.

Ein Teil von Euch gehört zu den neu einberufenen Jahrgängen, und sehr rasch habt ihr euch mit diesem Verhalten bei den Berlinern schlecht eingeführt. Die Folgen einer solchen Handlung kann niemand von euch nehmen. Wer als Mordschütze ausgezeichnet oder belobigt wird, bleibt gezeichnet - auch für seine Kameraden. Das haben die seit dem 13. August 1961 geflüchteten 380 Soldaten der Nationalen Volksarmee immer wieder bestätigt. Eure Schande wird um die ganze Welt gehen, und nicht dadurch beseitigt, dass euch einige Vorgesetzte dafür die Hand schütteln. Vergesst das niemals! Eines Tages werdet auch ihr Rechenschaft ablegen müssen, für jeden Schuss, den ihr auf Deutsche abgegeben habt.

Offiziere und Funktionäre, die euch heute unmenschliche Befehle geben, werden sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, wenn man euch zur Rechenschaft ziehen wird, steht ihr allein!

Wir haben euch immer wieder gesagt, wer auf Befehl Ulbrichts auf wehrlose Menschen schießt, die nur von Deutschland nach Deutschland gehen wollen, begeht einen Mord!

Wir haben euch immer wieder gesagt, Mord bleibt Mord, auch wenn er befohlen wird! Wir haben euch ferner immer wieder gesagt, wer einen solchen Mord begeht, wird dafür vor ein deutsches Gericht gestellt werden.


Die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltung in Salzgitter sammelt das Material über die von Angehörigen der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee an der Ulbrichtmauer und der Zonengrenze verübten Unrechtshandlungen.

Jetzt ist es soweit! Der ehemalige Grenzpolizist Fritz Hanke wird sich in Hanau dafür verantworten müssen, dass er Anfang Juni 1962 einen jungen mitteldeutschen Arbeiter erschoss, als dieser in die Bundesrepublik flüchten wollte. Geflüchtete Volkspolizisten hatten den Behörden der Bundesrepublik den Sachverhalt mitgeteilt. Hanke hat die Tat gestanden. Er gehörte damals als Stabsgefreiter der 8. Reservekompanie an, und war im Zonengrenzgebiet bei Schirke stationiert. Für die Mordtat wurde er von seinem Regimentskommandeur mit der Grenzdienstmedaille und einer Geldprämie von 200 Mark ausgezeichnet. 200 Mark für einen Mord, den er jetzt sühnen muss. Allein sühnen muss.

Die Herren, die ihm den unmenschlichen Schießbefehl erteilt haben, die auch euch zu Mördern auf Befehl machen wollen, drücken sich vor der Verantwortung. Fritz Hanke hat auf Befehl Ulbrichts und seiner Funktionäre gemordet. Fritz Hanke muss sich verantworten.

Wir erinnern euch noch einmal: „Mord bleibt Mord, auch wenn er befohlen wird!“ Denkt an Fritz Hanke. Wer sich dazu hergibt, auf Befehl Ulbrichts wehrlose Flüchtlinge zu erschießen, wird wie Fritz Hanke dafür sühnen müssen. Niemand verletzt auf die Dauer ungestraft die primitivsten Grundregeln der Menschlichkeit!

Männer der Nationalen Volksarmee! Handelt so, dass ihr vor eurem Gewissen bestehen könnt. Ein Schuss kann befohlen werden, dass er aber auch trifft, kann kein Befehl erzwingen!

Wir bringen Nachtrichten:

Moskau: Ministerpräsident Chruschtschow hat die Schwierigkeiten in der sowjetischen Landwirtschaft auf das schlechte Wetter zurückgeführt. Er traf diese Feststellung in einer Diskussion mit Kolchosfunktionären in der ukrainischen Stadt Nowaja Kachowka, wie die Moskauer Iswestia am Montagabend meldete. Chruschtschow befindet sich seit drei Wochen auf einer Reise durch Agrargebiete.

Los Angeles: Einen kleinen Atomgenerator trägt nach Angaben der amerikanischen Atomenergiekommission ein Satellit an Bord, der am vergangenen Wochenende erfolgreich von Kalifornien aus gestartet worden ist, und die Erde neunhundert Jahre lang umkreisen soll.

Sie hörten das „Studio am Stacheldraht“.


Quelle: Sammlung Heinz Gerull