Die Abstimmung der Sowjet-Zonenbewohner mit den Füßen
Der Westen nutzte die Anzahl der „Republikflüchtlinge″ als ulbrichtsches Beliebtheitsthermometer. Je nach Akzeptanz der SED-Maßnahmen flohen die Bewohner des sowjetzonalen Sektors und der Zone in den Westen. Während 1951 ein politisch relativ ruhiges Jahr war, folgte ein Jahr mit drastischen Maßnahmen, die für stark ansteigende Flüchtlingszahlen sorgten. Während 1951 lediglich die Umgestaltung des Hochschulwesens und die Deutschlandfrage vor der Uno politisch brisante Themen waren, ging es 1952 brisanter zu. Am 26. Mai wird die innerdeutsche Demarkationslinie von sowjetzonalen Schergen hermetisch abgeriegelt und damit der Fluchtweg über die vormals sogenannte offene „Grüne Grenze″ versperrt. Am 12. Juli verkündet Walter Ulbricht den „Aufbau des Sozialismus″ und raubt damit den Bürgern die Zuversicht auf eine bessere demokratische Zukunft. Als dann am 7. August die Gesellschaft für Sport und Technik (GST) die vormilitärische Ausbildung und sozialistische Erziehung der Kinder begann, schossen die Zahlen mit 23331 Flüchtlingen im Oktober in die Höhe.
„Die Ende des Monats Mai 1952 von den sowjetzonalen Machthabern durchgeführten Sperrmaßnahmen an der Zonengrenze zur Bundesrepublik Deutschland und um Westberlin waren der Auftakt zu einer verschärften Sowjetisierung Mitteldeutschlands. Diese Tatsache drückt sich nur allzu deutlich in dem seit Juni 1952 stark anschwellenden Flüchtlingsstrom aus. Nachdem Pankow die Zonengrenze durch den dreifachen Sperrgürtel abgeriegelt hatte, war es für die Mehrzahl der Flüchtenden nicht mehr möglich, sich direkt in die Bundesrepublik abzusetzen, sondern es blieb ihnen nur noch der Weg nach Westberlin offen, wo ein Grenzübertritt in der Stadt selbst nach den Sperrmaßnahmen weniger schwierig ist, als in dem stark kontrollierten Gelände an der Zonengrenze. Eine Gegenüberstellung der Westberliner Flüchtlingszahlen von 1951 und 1952 zeigt diese Entwicklung in aller Deutlichkeit.″
DER FLÜCHTLINGSSTROM ....................................................................................... | 1951 | ...... | 1952 | |
Januar | 4069 | 4262 | ||
Februar | 3769 | 4783 | ||
März | 4017 | 3458 | ||
April | 4424 | 3125 | ||
Mai | 4049 | 3565 | ||
Juni | 4325 | 6564 | ||
Juli | 4853 | 8931 | ||
August | 6131 | 13110 | ||
September | 5807 | 15237 | ||
Oktober | 5182 | 14719 | ||
November | 4897 | 12998 | ||
Dezember | 3358 | 11528 |
„Die Versuche der von Moskau gelenkten sowjethörigen Machthaber, Westberlin gänzlich aus dem Gebiet der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik“ auszuklammern und als Bollwerk der Freiheit zu isolieren, sind also insofern fehlgeschlagen, als die Berliner Westsektoren mehr als je zuvor für die Bevölkerung hinter dem Eisernen Vorhang der Repräsentant der freien Welt ist. Gerade das Gegenteil sollte jedoch der Zweck der Sperrmaßnahmen sein:
Die Isolierung Westberlins sollte den Einfluss unterbinden, den die Freiheit der westlichen Demokratie über Westberlin auf die Bevölkerung hinter dem Eisernen Vorhang ausübt. Die Stadtkommandanten Westberlins haben bei den sowjetischen Stellen gegen die ungerechtfertigten und böswilligen Sperrmaßnahmen mehrfach protestiert. Diese Schritte blieben ohne Erfolg. Die Sperrmaßnahmen um Westberlin haben für die tapfere Bevölkerung Berlins große Erschwernisse gebracht. Sie haben aber weder die Schwäche des sowjetischen Systems — das Angewiesensein auf Selbstisolierung und Gewalt — zu verschleiern oder zu beheben vermocht, noch haben sie die Anziehungskraft der Freiheit der westlichen Demokratie schwächen können.″
Im März 1953, vermutlich als Reaktion auf Stalins Tod (6. März 1953), erreichte der Flüchtlingsstrom mit 58605 Zonenbewohnern einen absoluten Höhepunkt.
Quelle: Die Sperrmaßnahmen der Sowjetzonenregierung an der Zonengrenze und um Westberlin, Hrsg. Vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Bonn 1953, Seite: 24 – 32;